12 Jahre Haft für Pfusch-Apotheker APOTHEKE ADHOC, 06.07.2018 11:22 Uhr
Der Bottroper Apotheker Peter Stadtmann muss für zwölf Jahre ins Gefängnis. Das hat der Vorsitzende Richter laut Correctiv soeben verkündet. Damit geht der Prozess um einen der größten Medizinskandale der Nachkriegsgeschichte in erster Instanz zu Ende. Für die Opfer ist das Leid damit allerdings nicht vorbei, denn für die meisten bleibt die Ungewissheit.
Die Richter sehen es als erwiesen an, dass Stadtmann in der Alten Apotheke in Bottrop aus Habgier und um seinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren über mehre Jahre Sterilrezepturen absichtlich zu niedrig dosiert hat. Die Medikamente seien in ihrer Qualität „nicht unerheblich“ gemindert gewesen, Stadtmann sei schuldig, in 14.000 Fällen gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) verstoßen zu haben. Außerdem sehe man 59 Betrugsfälle als erwiesen an. Die Richter verhängten auch ein lebenslanges Berufsverbot.
In der Anklage war noch von 62.000 Fällen die Rede. Außerdem legte das Gericht den Schadenswert geringer an: Statt von 56 geht das Gericht von 17 Millionen Euro Schaden aus. Dieser Betrag soll nun eingezogen werden. Für Mord, Körperverletzung oder versuchten Mord wird Stadtmann jedoch nicht verurteilt. Die Anklage hatte das gefordert.
Das AMG sei ein scharfes Schwert, in diesem Fall ein „Rettungsanker“, da Körperverletzung oder Mord in diesem Fall nur schwer nachweisbar seien. Daher sei es sehr wohl um die betroffenen Menschen gegangen, auch wenn sie im Verfahren nicht gehört wurden, wird der Richter von Correctiv zitiert. Zu frühes Zuschlagen bei der Razzia in der Alten Apotheke habe aber eine Anklage wegen Körperverletzung verhindert: Staatsanwaltschaft und Polizei hätten am Tag der Razzia nicht gewartet, bis die Zubereitungen in die Auslieferfahrzeuge geladen waren, sondern die Medikamente im Labor vor der Ausgabe an die Fahrer beschlagnahmt. Deshalb sei eine Verurteilung wegen Körperverletzung im Fall der 27 von Stadtmann hergestellten unterdosierten Zubereitungen, die am Tag der Razzia beschlagnahmt wurden, nicht möglich. Der Richter sagte laut Correctiv, diese Infusionen seien noch nicht in den Verkehr gebracht worden und könnten deshalb nicht als versuchte Körperverletzung gewertet werden
Anders als die Verteidung glauben die Richter den Analysen der sichergestellten Proben durch Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und Landeszentrum Gesundheit NRW. Fehler lägen im Bereich der Dokumentation – und auch dort eher im Randbereich. Die Behauptung der Verteidigung, es habe keine B-Proben gegeben, sei falsch: Jede Zubereitung sei mehrfach untersucht worden.
Auch die Theorie der Schwarzkäufe, die die Verteidigung ins Spiel gebracht hatte, glauben die Richter nicht. Es habe sich nicht der „leiseste Anhaltspunkt“ für geheimnisvolle Unbekannte ergeben, die Stadtmann Wirkstoffe vorbei am offiziellen Markt verkauft hätten. Stadtmann ist nach Auffassung des Gerichts „voll schuldfähig“, er sei geistig gesund und habe ohne Zweifel vorsätzlich gehandelt.
Zum Schluss wandte sich der Richter an Stadtmann. Nach außen hin habe er mit seiner Apotheke eine „makellose Fassade“ gehabt. „Nur wer sehr genau hinsah, dem konnten die feinen Risse auffallen.“ Tatsächlich habe seine Habgier die traditionsreiche Apotheke in eine kriminelle Einrichtung verwandelt. Der Richter appellierte an den Angeklagten, doch noch zu reden, um das Leid der Betroffenen zu mildern.
Über das genaue Ausmaß der Taten auf menschlicher Ebene wird wohl niemals volle Klarheit herrschen. Technisch ist es nicht möglich, nachzuweisen, welche genauen medizinischen Folgen die Unterdosierungen für wie viele und welche Patienten genau hatten. Ein Jahr lang hatten Opfervertreter regelmäßig vor der Alten Apotheke demonstriert, um auf ihre Schicksale aufmerksam zu machen.
Correctiv hatte den Prozess von Beginn an an jedem Verhandlungstag verfolgt. Dabei habe sie „gesehen, dass die linke Seite hier im Gerichtssaal, also dort wo die Betroffenen und ihre Anwälte sitzen, immer leerer geworden ist. Einige Nebenkläger sind gestorben, viele waren gesundheitlich nicht mehr in der Lage, hier am Prozess teilzunehmen“, berichtete eine Reporterin kurz vor der Urteilsverkündung aus dem Gerichtssaal, den die Nebenkläger mit weißen Rosen betreten haben, um der Opfer zu gedenken.
Der Fall sei auch die Folge eines Behördenversagens, wird der Richter weiter von Correctiv zitiert: Stadtmann hätte nicht so handeln können, wenn es eine wirksame Apothekenaufsicht gegeben hätte. Politisch hatte der Fall daher hohe Wellen geschlagen: Das Land Nordrhein-Westfalen muss sich gegen Vorwürfe wehren, bei der Gesundheitsaufsicht versagt zu haben, schließlich war der Betrug mehrere Jahre lang niemandem aufgefallen.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) kündigte nach Treffen mit Opfervertretern an, speziell Zyto-Apotheken stärker kontrollieren zu lassen. Auch die Städte Bottrop, Gelsenkirchen und Recklinghausen haben Konsequenzen gezogen und bauen ihre Apothekenaufsicht aus: Teilten sie sich bisher eine Amtsapothekerin, die für alle 250 Apotheken in der Region zuständig war, soll ab Anfang 2019 in jeder der drei Gemeinden je ein Amtsapotheker arbeiten.
Für die Alte Apotheke selbst bedeutete der Skandal das Ende: Nach der Verhaftung von Stadtmann übernahm dessen Mutter die Leitung – die wiederum selbst im Verdacht steht, an den Verbrechen beteiligt gewesen zu sein oder mindestens davon gewusst zu haben. Vor kurzem wurde dann bekannt, dass sie die Apotheke an eine Pharmazeutin aus Soest verkauft hat.
Die neue Inhaberin Vera Kaminski hatte noch bis 31. Mai in einer Apotheke von Hubertus Ahaus, einem engen Bekannten von Stadtmann, gearbeitet und hat angekündigt, eine City-Apotheke aus der Offizin zu machen. Die Zytostatika-Herstellung will sie nicht weiterführen, kündigte Kaminski an: „Die Alte Apotheke wird es nicht mehr geben.“