Der Skandal um keimbelastete Wurst der Firma Wilke schlug hohe Wellen. Schließlich waren drei Menschen nach dem Verzehr der verunreinigten Wurst gestorben. Mangelnde Kontrollen waren ein Grund, warum die Listerien-belasteten Fleischprodukte überhaupt in den Handel gelangten. Das könnte bei weitem kein Einzelfall sein, wie Foodwatch nun warnt. Nach Recherchen der Verbraucherschutzorganisation sind nur 10 Prozent der zuständigen Kontrollämter in der Lage, das Soll an Betriebskontrollen zu erfüllen.
Da es den Behörden an Personal mangelt, müsse etwa jede dritte vorgeschriebene Kontrolle im Lebensmittelbereich ausfallen. Mehr als 250.000 Kontrollbesuche der rund 400 Ämter sei im Jahr 2018 nicht zustande gekommen, teilte Foodwatch mit. Besonders schlecht sei die Lage in den beiden Stadtstaaten Berlin und Bremen, in denen nicht einmal die Hälfte der Vorgaben für Kontrollen eingehalten wird. Mit 10 Prozent Ausfallquote war die Lage in Hamburg noch am besten.
Foodwatch sieht die Politik hier in der Verantwortung. „Das ist ein handfester politischer Skandal. Die Kontrolleurinnen und Kontrolleure, die einen harten Job machen, werden von der Politik im Stich gelassen“, kritisiert Martin Rücker, Geschäftsführer der Verbraucherschutzorganisation. Die verantwortlichen Politiker würden nicht nur den Verbrauchern, sondern auch den sauber und ehrlich arbeitenden Lebensmittelbetrieben schaden.
Nur mit mehr Personal sei das Problem jedoch nicht zu lösen, mahnte Foodwatch. Vielmehr müsste in den Bundesländern eine Strukturreform in der Lebensmittelüberwachung stattfinden. Statt vieler kommunaler Behörden solle jedes Bundesland eine einzelne, unabhängige Landesanstalt aufstellen, deren Ausstattung per Gesetz an den Zielen des Verbraucherschutzes ausgerichtet wird.
„Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit dürfen nicht von der Kassenlage oder von politisch motivierten Haushaltsentscheidungen in Ländern oder Gemeinden abhängig sein“, fordert Rücker. Seiner Ansicht nach sollten die Ämter zudem verpflichtet werden, sämtliche Kontrollergebnisse zu veröffentlichen. Erfahrungen aus Ländern wie Dänemark und Norwegen zeigten, dass Vorgaben eher eingehalten werden, wenn die Lebensmittelbetriebe um die Veröffentlichung von Verstößen wissen.
Besonders kritisiert Foodwatch, dass die niedersächsische Landesregierung per Erlass versucht, bundesweite Vorschriften aufzulockern. Kommunale Kontrollbehörden sollen in dem Bundesland nur noch 55 Prozent der Plankontrollen einhalten müssen. Auch Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) wird für ihre Pläne angegangen, die Zahl der Pflichtkontrollen zu reduzieren. Selbst bei Unternehmen wie Wilke sollen einem Gesetzentwurf zufolge nur noch vier statt zwölf Besuche pro Jahr stattfinden.
Damit würde auch die Zahl der Planstellen sinken. „Julia Klöckner will die Zielvorgaben an den Personalmangel anpassen, anstatt die Länder zu ermahnen, dass diese endlich die nötigen Stellen zur Erreichung der Ziele schaffen“, kritisiert Rücker. Damit offenbare die Ministerin eine irrwitzige Logik: „Es fehlen Kontrolleurinnen und Kontrolleure – also kontrollieren wir einfach weniger. Diese Pläne der Ministerin sind eine Gefahr für die Lebensmittelsicherheit in Deutschland“, so der Foodwatch-Geschäftsführer.
Der Personalmangel habe schon Leben gekostet, wettert die Verbraucherschutzorganisation. Im hessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg, in welchem die Skandal-Firma Wilke ihren Sitz hat, gibt es derzeit nur 3,15 Planstellen für Kontrolleure. Diese sind für knapp 2900 Betriebe zuständig und schafften im Jahr 2018 gerade einmal die Hälfte der vorgeschriebenen Kontrollen.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft verwies nach einer Anfrage des Bayerischen Rundfunks und der Tageszeitung Welt darauf, dass die Personalausstattung zur Lebensmittelüberwachung Ländersache sei. Das Ministerium habe bereits an die Länder appelliert, die Stellen angemessen zu besetzen. Rund 1500 Lebensmittelkontrolleure würden bundesweit derzeit fehlen, hieß es vom Ministerium.
Seit Jahren nehmen die Rückrufe von Lebensmitteln zu. Waren es im Jahr 2015 noch 100 Lebensmittelwarnungen, waren es bis Ende November 2019 bereits 183 Fälle. Auch die Zahl der gemeldeten lebensmittelbedingten Krankheitsausbrüche nimmt nach Angaben des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zu: Die 416 Fälle im Jahr 2018 bedeuten ein Plus von acht Prozent im Vergleich zu 2015.
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