Vor dem Landgericht Berlin (LG) steht ein Apotheker im Zusammenhang mit dem Verkauf von Paxlovid wegen besonders schwerer Untreue und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) unter Anklage. Nachdem sich das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zunächst weigerte, die Einkaufspreise öffentlich zu machen, wurde der Schaden nun doch noch konkretisiert. Und eine Sachverständige versuchte, einen realistischen Marktpreis zu ermitteln.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Anklage den Einkaufspreis zugrunde gelegt, den das BMG pro Packung bezahlt haben soll. Laut Medienberichten beläuft sich dieser auf 665 Euro. Eine Zeugin des BMG, die am zweiten Verhandlungstag aussagte, durfte keine Angaben dazu machen. Heute las der Richter jedoch eine Stellungnahme von Thomas Müller, Abteilungsleiter im BMG, vor: Demnach zahlte der Bund tatsächlich 791 Euro brutto pro Packung.
Die Verteidigung wies die Untreuevorwürfe zurück und stellte die Schadenshöhe infrage. Apotheker seien keine Vermögensverwalter. Außerdem müsse die Wertbestimmung eines Medikaments die Marktlage berücksichtigen: Der Anwalt führte argumentierte, dass Paxlovid-Packungen, die bis zum Verfallsdatum nicht abgegeben werden können, wertlos seien.
Genau diesen Versuch unternahm Stefanie Weisner, eine Wirtschaftsprüferin und Steuerberaterin, die als Sachverständige geladen war. Sie erläuterte die Bewertungsmethodik für das Medikament: Alle zum Stichtag verfügbaren Daten – hier der 1. Januar 2023 – dienten als Grundlage. Auf dieser Basis wurden Szenarien erstellt, die unter anderem frühere Verkaufszahlen, mögliche Konkurrenzprodukte oder Änderungen in der Nachfrage einbezogen. Medikamente, die drohten, vor ihrer Abgabe abzulaufen, wurden mit einem Wert von Null angesetzt.
Der Wert des Medikaments war in diesem Fall allerdings nicht an eine Preisentwicklung gebunden, da kein Handel betrieben wurde. Hier wurden lediglich die Anschaffungskosten und Anschaffungsnebenkosten, wie etwa Lieferkosten, zugrunde gelegt. Nicht dazu zählten jedoch Lager- und Vertriebskosten.
Ihrer Einschätzung nach war die Bestellung von einer Million Packungen durch den Bund angesichts der damaligen Informationen plausibel. Sie wies aber erneut daraufhin, dass die Schätzungen hier nicht „schwarz-weiß“ seien, es gäbe keine mathematische Formel für die Prognose, die verschiedenen denkbaren Szenarien müssten abgewogen werden. Festzuhalten bleibt also: Eine konkrete Zahl gibt es nicht.
Die Verteidigung argumentierte, dass der Angeklagte zwischen September 2022 und Januar 2023 lediglich acht Packungen regulär abgegeben habe. In vielen anderen Apotheken sei die Nachfrage ähnlich gering gewesen. Es sei völlig unrealistisch, dass er die mehr als 2000 Packungen, die er bestellt hatte, regulär hätte abgeben können. Auf diesen wäre er sitzen geblieben und hätte sie einlagern müssen, bis sie hätten vernichtet werden müssen, so der einigermaßen skurrile Zirkelschluss.
„Die Bundesrepublik stünde wirtschaftlich genauso da wie jetzt“, so die Verteidigung. Wenn überhaupt, belaufe sich die eigentliche Bereicherung auf 112.496,65 Euro – deutlich weniger als die geforderten 1,7 Millionen Euro.
Der Richter hielt die Behauptung des Angeklagten, er habe nicht gewusst, dass die Medikamente im Besitz des Bundes verblieben, für unglaubwürdig. Vielmehr habe er die Preisgestaltung bewusst missachtet. Der Richter hob hervor, dass die Bundesregierung die Apotheker im Rahmen der Pandemie besonders in die Verantwortung genommen habe und ihnen eine Vertrauensvorschuss gegeben habe.
Die Verteidigung beantragte heute eine Verlängerung der Frist für Beweisanträge. Das Gericht wollte ursprünglich nur noch bis zum nächsten Verhandlungstag, dem 3. Dezember, Beweisanträge zulassen und bat, die Schlussplädoyers vorzubereiten. Nach kurzer Beratung entsprach das Gericht aber dem Antrag. Der Prozess könnte sich also noch ziehen. „Wir haben noch gar nicht mit unserer Beweisführung begonnen“, kündigte der Verteidiger an.