Sterbehilfe-Urteil: „Schritt in falsche Richtung“ dpa, 03.03.2017 19:17 Uhr
Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in einem Sterbehilfe-Fall hat heftige Kritik ausgelöst. Patientenschützer und Medizingesellschaften bezeichneten es als „Schritt in die falsche Richtung“. Zudem lasse es viele Fragen offen. Das Gericht in Leipzig hatte am Donnerstag entschieden, dass schwer kranken Patienten in unerträglichen Leidenssituationen in Einzelfällen der Zugang zu einem tödlichen Medikament nicht verwehrt werden dürfe.
Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) lehnt eine solche Freigabe auch in Einzelfällen klar ab. Palliativmediziner versuchen unter anderem, schwerstkranken Menschen Leiden zu ersparen. Sie werden laut DGP immer wieder mit Sterbewünschen ihrer Patienten konfrontiert. Es zeige sich aber auch immer wieder, dass „dies oft der Wunsch nach einem Gespräch ist, nach alternativen Angeboten und nach einem gemeinsamen Aushalten der bedrückenden Situation“, teilte die DGP mit.
Ähnlich sieht dies auch der Deutsche Hospiz- und Palliativ-Verband (DHPV). Schmerz- und Symptomkontrolle sowie das Eingehen auf Ängste der Betroffenen lasse den Wunsch nach einem Suizid häufig in den Hintergrund treten. Statt einen Zugang zu Mitteln für eine Selbsttötung zu gewähren, müsse vielmehr die palliativmedizinische Versorgung ausgebaut werden.
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, nannte das Urteil praxisfern. „Ich frage mich, wie das organisiert werden soll“, sagte Brysch. Solle künftig ein Verwaltungsbeamter im Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) entscheiden, ob ein sterbewilliger Patient so ein extremer Einzelfall sei, den das Gericht angenommen hatte, fragte Brysch. Unerträgliches Leid sei weder juristisch noch ethisch genau zu definieren.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kündigte an, eine staatliche Suizidhilfe weitgehend unterbinden zu wollen. „Wir werden die noch ausstehende schriftliche Urteilsbegründung genau prüfen und alle Möglichkeiten nutzen, den Tabubruch staatlicher Selbsttötungshilfe zu verhindern“, erklärte Gröhe. Behörden dürfen nicht zum Handlanger der Beihilfe zum Suizid werden. „Das untergräbt unser Bemühen Selbsttötung durch Hilfe und Beratung zu verhindern.
Michael Brand, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, erklärte: „Die Anforderungen des Urteils sind nicht umsetzbar. Der Staat kann nicht verpflichtet werden, sich an der Durchführung eines Suizids zu beteiligen. Das wäre ein Bruch mit unserer Werteordnung und widerspräche allen Anstrengungen zum Lebensschutz und der Suizidprävention. Todbringende Medikamente per Verwaltungsakt darf es nicht geben, denn der Staat hat eine besondere Schutzpflicht.“
Dagegen sagte der Gesundheitsrechtler der Ruhr-Universität Bochum, Prof. Stefan Huster, der Schutz des Lebens bedeute zunächst einmal, dass der Staat einem das Leben nicht nehmen darf. Ein Lebensschutz gegen den ausdrücklichen Willen eines Menschen sei dagegen kein sinnvolles Rechtsgut. Er halte das Leipziger Urteil „in einer freiheitlichen Gesellschaft für vernünftig“.