Oster-Notdienst: Ein ganz normaler Wochentag Julia Germersdorf, 11.04.2023 14:23 Uhr
Die Löwen-Apotheke in Neuhausen bei Stuttgart hatte am Ostermontag Notdienst. Inhaberin Dr. Sabine Mickeler absolvierte diesen tagsüber gemeinsam mit ihrem Sohn Tassilo, der aktuell Pharmazie studiert. Dank guter Vorbereitung und einem kleinen Vorrat an Antibiotika konnten bis auf wenige Ausnahmen alle versorgt werden. Die beiden finden, dass den Apotheker:innen mehr Entscheidungsbefugnis gewährt werden sollte, um die Patient:innen vor Ort schnellstmöglich und bürokratiearm beliefern zu können.
„Wir konnten zuvor ein paar Antibiotika bestellen: Cortrim, Cefaclor und Amoxi-Tabletten. Aber kein Penicillin-oder Amoxicillin-Saft für Kinder. Da habe ich tatsächlich Bauchschmerzen gehabt.“ Drei Leute habe Mickeler zurück zum Arzt schicken müssen, weil keine Alternative parat war. In einem Fall handelete es sich um azithromycinhaltige Augentropfen, die so selten verordnet werden, dass die Löwen-Apotheke sie noch nie abgegeben hat – und die auch nicht lieferbar waren.
„Ganz klar – der Stress ist in allen Gesundheitsberufen groß an so einem Feiertag, aber das in diesem Fall das Bewusstsein nicht eingesetzt hat, ist wirklich eigenartig. Die geringe Lieferbarkeit verschiedenster Arzneimittel sollte doch eigentlich inzwischen nahezu jedem bekannt sein. Es gibt sicher immer mal Gründe für genau diese Augentropfen, aber nicht im Notdienst.“
Ansonsten seien die Absprache mit den umliegenden Kliniken gut gelaufen und man habe Ärzte für Rücksprachen erreicht. Zum Teil haben diese sogar vorher angerufen, während der Patient oder die Patientin noch in Behandlung war, um abzusprechen, was vorrätig ist, welche Möglichkeiten bestehen oder was passen könnte.
Kompetenzteam
Eine Ärztin hätte im Normalfall gern für ein an Scharlach erkranktes Kind Penicillin- oder Amoxicillin-Saft verordnet. Glücklicherweise rief diese ebenfalls vorher in der Löwen-Apotheke an, um die Behandlung gemeinsam zu besprechen. Mickelers Vorschlag, einen Cefaclor-Saft zu verschreiben, wurde dankend angenommen. „Auf diese Art und Weise haben wir nahezu alle Patient:innen versorgen können.“ In etwa 30 Fällen musste Mickeler eine Alternative für ein Antibiotikum finden, dass so wie verordnet nicht verfügbar war.
Ein ganz normaler Tag
Sonntags oder wie jetzt am Ostermontag sei der Notdienst mit einem ganz normalen Tag vergleichbar. „Die Kund:innen stehen auch schon mal Schlange bis zur Straße raus. Das ist allein nicht machbar.“ Mickeler war deshalb froh über die Unterstützung durch ihren Sohn Tassilo, der aktuell Pharmazie studiert. Nach zehn Stunden Arbeit durchweg konnten die beiden durch einen angestellten Apotheker abgelöst werden.
In dieser Zeit haben die Mickelers 140 Personen bedient. „Das ist alle vier Minuten ein Fall. Und die Krankheitsbilder reichen von den Haarspitzen bis zu den Fußnägeln. Da ist man gefordert. Wir machen das gern – gar keine Frage, aber mal kurz verschnaufen ist einfach nicht drin.“
Auch der angestellte Apotheker, der den Dienst ab 18:30 Uhr übernehmen konnte, hatte bis nachts um drei Uhr jede Stunde zwei bis drei Leute, bevor es dann etwas ruhiger wurde.
Medikamente fehlen querbeet
Ob Arzneimittel für Kinder oder Erwachsene – Antibiotika oder Blutdrucksenker: „Es sind viele Medikamente, bei denen man in die Schublade greifen möchte und sie einfach leer ist.“ Die psychische Belastung, ob das benötigte Medikament zu bekommen ist, kann bei den Erkrankten durchaus groß sein. Mickelers Team ist im Grunde dauerhaft auf der Suche nach Alternativen. „Man kriegt seine Patient:innen meistens schon irgendwie noch versorgt, aber es ist eben nicht das, was verordnet wurde. Und es ist einfach unglaublich, dass wir hier in Deutschland derart intensiv nach Lösungen suchen müssen, um beispielsweise Scharlach behandeln zu können.“
Schwierige Situation
In den häufigen Fällen einer Alternativabgabe geht sie nach Plan vor: „Ich dokumentiere und mache und tue alles, um dem Patienten helfen zu können, aber kriege ich am Ende auch das Geld für das abgegebene Medikament?“, fragt sich die Inhaberin. Selbstverständlich versorge sie die Leute, deshalb sei sie Apothekerin. Aber umsonst könnne auch sie die Ware nicht abgeben. „Im Nachhinein von der Notfallpraxis ein neues Rezept zu bekommen, gestaltet sich leider meist enorm schwierig.“
Nicht nur wegen der aktuellen Misere solle den Apotheker:innen ihre Kompetenz auch eingeräumt werden, um entscheiden zu können, wenn der Patient vor einem steht, findet Tassilo Mickeler. „Ich muss immer erst den Arzt anrufen und Rücksprache halten. Nur das dieser dann am Telefon nochmal ‚ja‘ sagt und ich es auf dem Rezept notiere. Es muss möglich sein, das allein entscheiden zu dürfen.“ Allerdings seien auch die Krankenkassen nicht gewillt, den Apotheker:innen diese Freiheiten zu geben_ „Da geht’s nur ums Geld. Und dann will man uns 50 Cent als Leckerli hinwerfen. Für den Aufwand, den wir betreiben. Das ist jenseits der Realität“, findet der Pharmaziestudent.
„Bei solch geringer Wertschätzung sind die vielen Schließungen nicht verwunderlich“, räumt die Inhaberin ein. „Ich wäre auch mal für einen Generalstreik, aber da steht mir die Moral als Apothekerin im Weg, den Leuten zu helfen.“
Pharmazeut aus Überzeugung
Trotz all des Stresses und all der Unannehmlichkeiten möchte Tassilo Mickeler „auf jeden Fall und unbedingt“ die Apotheke seiner Mutter übernehmen. Obwohl er erst den Wunsch hegte, in die Industrie zu gehen, weshalb er zuvor noch Wirtschaftswissenschaften studierte. „Aber ich habe diese Apotheke ins Herz geschlossen und diese Aufgabe lieben gelernt.“
Bereits seit 2016 hilft er im Betrieb seiner Mutter aus – zunächst war er Bote. Im September startet er in das praktische Jahr, nach dem er definitiv zurück in die Löwen-Apotheke kommen möchte. „Es gefällt mir einfach so sehr mit dem Team hier in diesem Ort.“