Zyto-Skandal in Bottrop

Opfer-Demo in Sträflingskleidung

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Berlin -

Für die Betroffenen des Bottroper Apothekenskandals ist der Kampf mit der Verurteilung von Peter Stadtmann längst nicht zu Ende. Am Mittwoch trafen sich Dutzende von ihnen in Sträflingskleidung zu einer Demonstration vor der ehemaligen Alten Apotheke. Sie wollten sich für die Unterstützung bedanken, verlangen aber auch, dass die Aufarbeitung jetzt nicht im Sande verläuft. Besonders auf Politik und Behörden sind sie sauer.

„Mit dem vorläufigen Urteil sind alle etwas lethargisch geworden – und das, obwohl wir längst noch nicht alles erreicht haben, was wir erreichen wollen“, erzählt Heike Benedetti, die sich in den vergangenen anderthalb Jahren als Sprecherin der Opfervertreter einen Namen gemacht hat. Vor ziemlich genau einem Jahr kamen die Betroffenen erstmals vor der mittlerweile in City Apotheke umbenannten Alten Apotheke zusammen, um zu demonstrieren. Seitdem ist viel passiert, der Fall schlug politische Wellen, führte zu einer Umstrukturierung der lokalen Apothekenüberwachung, zu einer landesweiten Kontrollkampagne von Sterillaboren und nicht zuletzt zur Verurteilung des Hauptschuldigen Peter Stadtmann zu zwölf Jahren Haft.

Damit habe man aber nur an der Oberfläche gekratzt, kritisiert Benedetti. Vor allem das Verhalten von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bringt sie zur Weißglut. „Der kann seinen Hut nehmen!“ Sein Krisenmanagement sei absolut unzureichend gewesen. „Der hat nicht mal einen Krisenstab einberufen“, bemängelt sie und führt aus, dass auch die Apothekenkontrollen des vergangenen Sommers „ein Witz“ gewesen seien. „Diese Apothekenüberwachung kann er sich an die Wand nageln!“

Laumann hatte im angekündigt, dass es in den Folgemonaten Kontrollen aller Zyto-Labore geben wird – „und trotzdem war noch einer dabei, der gepanscht hat! Außerdem gab es in jeder der kontrollierten Apotheke Mängel“, zeigt sie sich empört. „Für Krebspatienten ist das doch wie Russisch Roulette!“

Deshalb werde sie weiter für Transparenz kämpfen und dafür, dass Ministerien und Behörden „aufhören, den Schwarzen Peter hin- und herzuschieben“, versprach Benedetti den anwesenden Demonstranten. 50 bis 60 waren es nach eigenen Angaben – „Nicht mehr ganz so viele wie früher, aber es verläuft sich halt auch und außerdem hat es geregnet.“ Zu Beginn bedankte sich die 57-Jährige ironisch bei den Verteidigern Stadtmanns – sie hatten es nicht geschafft, seine Strafe weiter zu drücken. „Mit den zwölf Jahren bin ich zufrieden, viel mehr gibt das deutsche Recht halt nicht her“, sagt sie. Das Strafmaß schreibt sie auch dem gemeinsamen Engagement der Opfervertreter zu: „Wenn wir da stillgehalten hätten, wäre viel unter den Tisch gefallen und der wäre nach drei, vier Jahren wieder draußen“, mutmaßt sie. Deshalb auch die Sträflingskleidung, die Stadtmann symbolisieren soll. Nun sei es daran, die Hintermänner zu belangen: „Es gab da Mitwisser, das kann der nicht allein gemacht haben“.

Schlecht zu sprechen ist sie auch auf die Amtsapothekerin aus Recklinghausen. Deren Verhalten sei mehr als nur fahrlässig und pflichtvergessen gewesen. Mit Stadtmann habe sie bei vorangekündigten Kontrollen Kaffe getrunken und ihm die Möglichkeit gegeben, die Behebung entdeckter Mängel per Fax und Foto nachzuweisen. „Das machen Sie mal beim TÜV, der zeigt Ihnen den Vogel“, spottet sie bitter. Der Kreis Recklinghausen muss sich jedenfalls auf eine Klage einstellen.

Derzeit wird gemeinsam mit dem Stuttgarter Rechtsanwalt Manuel Rieger ein Zivilverfahren vorbereitet. Samt eigener Internetseite, E-Mail-Adresse und Hotline wird nach weiteren prozesswilligen Betroffenen gesucht, um ein Schmerzensgeldverfahren zu beginnen. Die beteiligten Anwälte prüften demnach derzeit individuell die mögliche Höhe solcher Forderungen. Von Peter Stadtmann verlangen sie insgesamt 120 Millionen Euro.

Am liebsten würde sie aber noch weitergehen und Gesundheitsminister Laumann zur Rechenschaft ziehen. „Es gibt 800 bis 1000 Verstorbene, all deren Angehörige haben ein Recht, das Land NRW zu verklagen“, sagt sie. Laumanns Verhalten empfand sie als zynisch. Als er im Fernsehen, nach der Identifizierung der direkt Betroffenen, gesagt habe, jeder Patient habe ein Recht auf Nichtwissen, da war das Fass für sie voll. „Das war der dümmste Satz, den ich jemals von einem Minister gehört habe“.

Man müsse nur nach Brandenburg schauen, um zu sehen, wie mit einem solchen Skandal auch umgegangen werden kann. Die dortige Gesundheitsministerin Diana Golze war kürzlich zurückgetreten. Benedettis Mitstreiter Martin Porwoll, der ehemalige kaufmännische Leiter der Alten Apotheke, der den Skandal als Whistleblower ins Rollen brachte, stimmt ihr da zu. In einem Facebook-Beitrag vergleicht er das Handeln der NRW-Landesregierung mit dem Skandal um den Importeur Lunapharm.

Die dortige Gesundheitsministerin habe mit ihrem Rücktritt Konsequenzen gezogen. „In NRW wird tumb durchregiert. Diese vollkommene Empathielosigkeit ist himmelschreiend“, so Porwoll. „Der Gesundheitsminister muss zurücktreten und Platz machen für eine(n) Minister(in), die den größten Medizinskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte richtig anpackt!“, fordert er. Auch Berlin stehe noch auf dem Plan, sagt Benedetti. Es könne nicht sein, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sich noch nicht zu dem Fall positioniert habe. Es klingt fast, als ob die wirkliche Arbeit mit der Verurteilung erst begonnen habe. „Ich kann da jetzt auch nicht einfach aufhören, das bin sind wir den Opfern doch schuldig.“

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