Kurz vor Mitternacht hat ein Diabetiker wegen falscher Messwerte Rat in einer Notdienst-Apotheke gesucht. Der ältere Mann sei verunsichert gewesen, weil seine beiden Geräte extrem unterschiedliche Messwerte angezeigt hätten, sagt die diensthabende Apothekerin, Eva Nützmann. Die Angestellte der St. Vitus Apotheke in Gilching half dem Senior, Klarheit zu bekommen. Verdient hat der Betrieb an dem Einsatz nichts. Apothekenleiterin Iris Blaschke betont jedoch, wie unersetzlich Apotheken seien und welches Vertrauen die Bevölkerung in sie setzten.
Nützmann ist seit 1992 Apothekerin und leistete bereits hunderte Notdienste. Anrufe mitten in der Nacht sind für sie nicht ungewöhnlich. „Vor zwölf Uhr zu schlafen, lohnt sich nicht“, sagt sie. Denn davor sei noch viel los. Danach werde es meist ruhiger. „Seit der Umstellung des Notdienstes in Bayern ist es ab Mitternacht oft richtig ruhig geworden. Die Leute überlegen es sich wegen der weiteren Wege, ob sich die Fahrt zur Apotheke lohnt“, sagt Blaschke. Dafür sei es an den Wochenenden viel voller, das oft bis zu drei Mitarbeitende nötig seien.
Am vergangenen Montag war die Lage eher ruhig, als der Diabetiker anrief. Er kam gerade von einer Veranstaltung in München und war laut eigenen Angaben „entsetzt“, als er die Ergebnisse seiner Blutzucker-Messungen sah. Seit 2009 ist er Diabetiker Typ I – aber eine derartige Abweichung der Messergebnisse habe es noch nie gegeben: das Freestyle-Libre-Sensorergebnis lag bei 94 mg/dl. Sein zweites Messgerät, ein Contour xt, zeigte jedoch 421 mg/dl an – ein Wert, der auf eine schwere Überzuckerungen hinweist.
Nützmann kündigte ihm an, in der Apotheke die Werte zu kontrollieren. „Er kam mit seiner Frau und Tochter und hatte sich nicht wohl gefühlt.“ Die 15 Kilometer habe er gerne in Kauf genommen, um Klarheit zu bekommen. „Wir haben ein drittes Gerät genommen, um den Wert zu verifizieren. Tatsächlich lag der Wert bei über 400 mg/dl. „Er war sehr dankbar und konnte nach Hause fahren und sich dort Insulin spritzen.“ Die Pharmazeutin habe ihn beruhigt entlassen, weil er körperlich fit war und gut mit seiner Diabetes vertraut. Da er gewusst habe, wie viel er spritzen müsse, sei ein Krankenausbesuch nicht nötig gewesen.
Blaschke lobt den Einsatz der Kollegin. „Es ist nicht selbstverständlich, dass wir während des Notdienst Patienten in die Apotheke lassen.“ Aus Sicherheitsgründen werde es vermieden, da man als Frau allein in der Offizin stehe. „Man muss die Situation abschätzen, denn es könnte auch ein Betrüger sein.“ Ein Risiko bleibe. Im Fall von Montag verlief die Beratung gut.
Doch die Kollegin habe im Notdienst mitten in der Nacht „beherzt geholfen“ und vielleicht ein Leben gerettet, „zumindest aber einen teuren Krankenhausbesuch verhindert“. Es sei nur schade nur, dass manches Unternehmen immer noch die Meinung vertrete, dass ein Vertrieb der Produkte an den Apotheken vorbei sinnvoll sei.
Ein paar Tage später kam ein Brief des Seniors, mit dem er der Apothekerin nochmals dankte: „Sie boten mir, trotz der späten Stunde, sogleich Ihre Hilfe an und kurz vor Mitternacht waren wir bei Ihnen. Ihre freundliche, ruhige hilfsbereite Art holte mich aus meiner Verzweiflung zurück und Sie begannen sogleich mit der Blutmessung“, schrieb er. „Am nächsten Tag informierte ich Freestyle Libre von dem Desaster – ich wurde gebeten, den fehlerhaften Sensor zurückzusenden, inzwischen erhielt ich kostenlosen Ersatz.“