Nachtdienst

Notdienst mit DocMorris Sarah Sonntag, 22.10.2017 08:09 Uhr

Berlin - 

Notdienst mit bitterem Beigeschmack: Wenn Online-Kunden zu später Stunde noch Fragen haben, brennt in den Vor-Ort-Apotheken noch das Licht. Also wird einfach mal geklingelt, der Apotheker hat ja schließlich Dienst.

Es ist 3.20 Uhr und noch stockfinster, da ertönt die Notdienstglocke. An der Klappe steht ein hipper Jugendlicher, der cool mit seinem Smartphone winkt. Er habe gerade seine Arzneimittelbestellung von der Packstation abgeholt und möchte nun von mir einige Fragen beantwortet haben. Entgeistert gucke ich den jungen Mann an. Ich stottere nur, ich müsse meine Brille holen, drehe mich um und laufe fassungslos in die Rezeptur. Dort steht Max meine Fantaschale, die auch in unmöglichen Situationen Rat weiß.

Was ist denn los? Hast Du eine Fatamorgana gesehen oder wer steht vor der Tür, fragt Max. Mit hochrotem Kopf stottere ich, ich solle einem Kunden Fragen zu seinen online bestellten Arzneimitteln beantworten. Die Wut steigt weiter und weiter auf. Nicht genug, dass Versender keinen Notdienst leisten müssen, jetzt muss ich auch noch für die Päckchenpacker die Beratung erledigen. Max schlägt Atemübungen zur Beruhigung vor und empfiehlt, einen Schluck Wasser zu trinken. Nimm doch das Telefon mit zum Kunden und rufe beim Versender an, dann kann er all seine Fragen stellen.

Ich atme tief durch und gehe resolut mit dem Telefon in der Hand zur Notdienstklappe. Dann strecke ich dem jungen Mann das Telefon entgegen. Hier! Fragen Sie doch beim Versender nach und lassen sich beraten. Ich habe dann auch gleich noch ein paar Fragen, sage ich lächelnd. Das geht ja nicht, sagt der junge Mann. Laut Website sei DocMorris für Bestellungen, Serviceauskünfte und zur pharmazeutischen Beratung montags bis freitags von 8 bis 20 Uhr sowie samstags von 9 bis 13 Uhr zu erreichen! Jetzt hätten wir Sonntagmorgen 3.26 Uhr und ich müsse ja ohnehin arbeiten, gibt der Herr mir zu verstehen. Außerdem berieten wir Vor-Ort-Apotheken viel besser und ausführlicher, versucht er mir zu schmeicheln. Aber leider seien wir viel zu teuer und so gar nicht digital. Er fragt, ob ich nun endlich seine Frage beantworten könne. Der Ton wird schärfer. Offenbar ahnt der Mann, dass ich nicht „Nein“ sagen darf.

Bevor die Situation eskaliert, holt er ein gelbes Rezept aus dem Karton. Warum er das denn zurück bekommen habe? Er brauche das Medikament doch! Ich erkläre ihm, dass Versandapotheken keinen Notdienst machen, keine Betäubungsmittel verschicken und auch keine Rezepturen herstellen, aber ganz fleißig Päckchen packen. Ich habe das Arzneimittel aber da und das Rezept ist noch gültig – ich kann den Kunden versorgen. Analog ist wohl doch cooler, sagt der junge Mann.

Ich gehe nach hinten und hole das Arzneimittel aus dem Tresor. Max zischt, ob ich mal wieder für DocMorris & Co. die pharmazeutische Arbeit leisten muss. Diese Rosinenpickerei und Feiermentalität, wie groß doch das Wachstum ist, geht mir mehr als gegen den Strich. Für mich steht der Kunde im Mittelpunkt, für Versender der Gewinn, mit minimalem Aufwand.

Im OTC-Bereich haben die Versender im vergangenen Jahr einen Umsatzanstieg von 17 Prozent oder 1,6 Milliarden Euro hingelegt, gibt Max zu verstehen. Bei den Vor-Ort-Apotheken waren es nur 1,6 Prozent. Für 2020 wird ein Umsatzanstieg von 110 Prozent prognostiziert. Ich will gar nicht wissen, wie viele Kunden ich in meiner Apotheke beraten habe, die dann online bestellt haben. Ich sollte eine Beratungsgebühr verlangen, knurre ich. Aber für uns vor Ort gibt es ja den Notdienstfonds und 2,50 Euro. Und den dankbaren und glücklichen Kunden, ruft Max mir auf meinem Weg nach vorne hinterher. Und tatsächlich der Kunde ist zufrieden und dankbar und ich bekomme einen Klecks Sahne auf meinen trockenen Kuchen – ohne Rosinen.