Apothekerin Margarete Anna Heidl hatte in der letzten Nacht Notdienst in der Schönbach-Apotheke – und erlebte einen Albtraum. Am späten Abend benötigte eine Familie mit zwei kranken Kindern, eines noch ein Säugling, dringend ein Antibiotikum. Aufgrund der Lieferengpässe konnte sie das Rezept nicht beliefern, sondern musste Rücksprache mit dem behandelnden Arzt halten. Was folgte, sei „eine Katastrophe“ gewesen.
Die hessische Landapotheke in Aßlar ist eigentlich noch ganz gut sortiert: „Ich hatte in der letzten Zeit mal ein wenig Glück und habe ein paar Medikamente bekommen können. Aber mittlerweile sitzt eine Kollegin ständig vor der Defekteliste. Auch sämtliche PTA verbringen mindestens eine Stunde am Tag, um Alternativen zu fehlenden Medikamenten zu finden.“ In ihrem Notdienst in der vergangenen Nacht kam es zu einer besonders frustrierenden Situation.
Ein Elternpaar hatte am Abend seine beiden kränkelnden Kinder, eines davon erst acht Monate alt, beim ärztlichen Bereitschaftsdienst vorgestellt. „Das ältere Kind bekommt aufgrund einer Magen-Darm-Erkrankung Vomex A 40 mg Suppositorien. Der Säugling sollte wegen total verschleimter Bronchien Amoxicillin-Saft einnehmen.“ Wegen der Engpässe war die Familie nach eigener Aussage schon in anderen Apotheken unverrichteter Dinge weggeschickt worden.
Auch Heidl konnte nicht sofort helfen. „Ich hatte auch keinen Amoxicillin Saft mehr, aber zwei Alternativmedikamente“, so die Apothekerin. „Wegen der Wirkstoffänderung musste ich aber Rücksprache mit dem verordnenden Arzt halten.“ Gegen 21:40 Uhr begann Heidl zu telefonieren: „Ich bekam Platz 10 in der Warteliste, voraussichtliche Wartezeit: acht Minuten. Ich wartete und erklärte dann mein Anliegen. Eine direkte Weiterleitung war nicht möglich, der Arzt war in einer Behandlung.“
Heidl wurde versprochen, dass gleich zurückgerufen wird. Mittlerweile war es bereits 22 Uhr. Die Außentemperatur betrug minus 1 °C: „Ich schickte den Vater zu seiner Familie ins Auto, er möge das Auto warmhalten, es könne noch einen Moment dauern, der Arzt würde gleich zurückrufen.“
Als es 20 Minuten später immer noch keinen Rückruf gab, versucht Heidl es erneut: „Diesmal hatte ich Position 6 in der Warteliste und eine voraussichtliche Wartezeit von sieben Minuten. Ich wartete und erklärte dann, dass hier eine Familie mit acht Monate altem Säugling mit Antibiotika-Verordnung aufgrund eines Atemwegsinfektes auf Rückruf des Arztes wartet. Der freundliche Mitarbeiter teilte mir mit, dass er doch meine Nummer notiert habe und fragte, ob sich der Arzt noch nicht gemeldet hätte.“
Heidl machte den Mitarbeiter auf die Kälte und die Wartezeit der Familie aufmerksam, um die Dringlichkeit zu verdeutlichen. „Der Herr verstand und sagte mir zu, dass er sofort mit diesem Anliegen zum Arzt gehen würde.“ Doch es passierte nichts.
Nach einer weiteren halben Stunde fragte der Vater des Säuglings nach stillem Wasser für sein Kind, das inzwischen Hunger hatte: „Ich kochte etwas Wasser ab, damit das Kind seine Flasche haben konnte“, so Heidl.
Ein weiterer Versuch, über die Leitstelle den Arzt zu erreichen, endete in einer Schleife mit 20 Minuten Wartezeit. „Um 22:50 Uhr beschloss ich, dass ich die mögliche Auswahl auf meine Kappe nehme, als endlich der lang ersehnte Rückruf kam. Leider mit den Worten: Seien Sie doch nicht so ungeduldig! Ich habe die Lieferengpässe doch nicht zu verantworten.“ Klären konnten die Apothekerin und der diensthabende Arzt das Problem schlussendlich in nur drei Minuten. Als Alternativpräparat durfte Heidl Cefuroxim abgeben und konnte nach einer Wartezeit von über 90 Minuten endlich die Familie versorgen.
Heidl ist sich sicher, dass mittlerweile „auch bei den Ärzten angekommen sein muss“, dass Antibiotika nur bedingt verfügbar sind. „Warum kann man da nicht in einer Dienst habenden Apotheke nachfragen, was vorrätig ist?“ Dieser Vorgang sei wesentlich effizienter, ärgert sich Heidl: „Es wird verordnet, als gäbe es keine Lieferengpässe.“
Nebenbei musste Heidl auch für andere Kund:innen verfügbar sein: „Ich hatte einen jungen Mann am Telefon, der mich fragte, ob ich Dienst hätte. Nachdem ich ihm erklärte, dass diese Frage wohl eher unangebracht wäre mitten in der Nacht, musste ich mir sagen lassen, dass ich doch schließlich Nachtschicht hätte. Solche Anrufe kommen dann immer noch obendrauf.“
Über die allgemeine Situation ist Heidl entsetzt: „Unser System der Arzneimittelversorgung krankt nicht nur an den Lieferengpässen, es krankt auch an der Erreichbarkeit der ärztlichen Bereitschaftsdienste bei notwendigen Rückfragen durch Apotheken.“ Dabei hatte die Inhaberin in der Vergangenheit zeitweise mal eine direkte Durchwahlnummer zur Leitstelle und konnte auf dem kurzen Dienstweg solche Anfragen klären.
Mittlerweile aber kann Heidl nur mit der üblichen Telefonnummer „116117“ dringende Fragen im Notdienst klären: „Was uns in dieser Nacht passiert ist, würde mich als Eltern wütend machen. In meinen Augen grenzt diese Situation an verweigerte Hilfeleistung. Die Kassenärztliche Vereinigung ist für die Organisation des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zuständig, es muss doch möglich sein, eine Rückrufnummer für Fachkreise und Apotheken einzurichten, die solche unzumutbaren Wartezeiten unnötig macht. Abgesehen davon gibt es durchaus Notfälle wie Asthmaanfälle oder Pseudo-Krupp, wo die Versorgung noch dringlicher sein kann“, so die Apothekerin.
„Manchmal wären Rollschuhe schon gut, – ich sollte sie rauskramen und für den nächsten Notdienst schon mal trainieren. Headset nicht vergessen, macht meine Arbeit noch effizienter. Da freut sich unser Karl und kann Ressourcen heben. Das ist leider kein Karnevalskalauer, sondern Alltag und bitterer Ernst“, so Heidls Fazit nach einer schlaflosen Nacht.
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