Notdienst-Apotheker: „Bei Babynahrung bin ich nicht mehr nett“ Carolin Ciulli, 20.02.2022 07:54 Uhr
Das Notdienst-Wochenende ist fast geschafft. Alle 13 bis 14 Tage ist Apotheker Sven Linnartz an der Reihe. Der angestellte Approbierte kennt die klassischen Anfragen und wird kaum noch überrascht. Bei seinem jüngsten Dienst schaffte es eine angehende Oma, ihn doch aus der Fassung zu bringen. „Mich stört, dass einem Kompetenz abgesprochen wird, nur weil man Sachen wie Ledum D30 nicht vorrätig hat“, kritisiert er. Insgesamt werde das Verhalten der Kundschaft immer extremer.
Jede Nacht sind laut Abda rund 1300 der rund 18.500 Apotheken dienstbereit. Sie werden im Schnitt von 20.000 Menschen aufgesucht. Mit der rückläufigen Apothekenzahl werden die Dienstzeiten immer engmaschiger. Insgesamt geben die Apotheken im Notdienst mehr als sieben Millionen Arzneimittel pro Jahr ab. Besonders für Familien sei der Dienst wichtig: Bei jedem dritten Besuch werden Arzneimittel für Kinder benötigt.
Allerdings fragen Väter und Mütter nicht nur nach Klassikern wie Antibiotika oder Schmerz- und Fiebermittel. Immer wieder werde nach Dienstschluss sowie mitten in der Nacht nach Babynahrung gefragt, sagt Linnartz. Der Apotheker aus dem Westerwald kann in diesen Momenten nicht mehr an sich halten. „Da bin ich nicht mehr nett“, stellt er klar. „Ich sage dann immer, ‚ihr Kühlschrank ist aber voll, oder?‘ Da ist mir eine schlechte Bewertung über Google egal.“
Ärgerlich seien auch Fragen nach homöopathischen Arzneimitteln. „Da wird nachts nach Ledum D30 gefragt und gesagt, dass man gleich sterbe und was wir für eine Apotheke seien, weil wir es nicht vorrätig hätten.“ Auch bei diesen Kundenwünschen ist Linnartz laut eigenen Angaben knallhart: „Ich sage, da ist doch eh nichts drin, warum soll ich es im Notdienst haben? Ich weiß, damit mache ich mir keine Freunde.“ Apotheker hätten ein naturwissenschaftliches Studium und es sei ein „großer Fehler, dass unsere Kammern Fortbildungen zu diesem Voodoo-Kram anbieten.“ Beim Apothekerberuf gehe es nicht um Glauben, sondern um Wissenschaft. „Ich verurteile keinen, der das verkauft. Auch wir haben fünf homöopathische Arzneimittel wie beispielsweise Arnica auf Lager, weil die Kunden einfach nicht davon abzubringen sind.“
Der Notdienst sei für Notfälle da, betont Linnartz. Das wüssten die Kund:innen jedoch nicht zu unterscheiden. „Es ist doch nicht mein Fehler, wenn jemand vergessen hat, seine Nasenspray-Batterie aufzufüllen. Da würde kein Arzt sein ‚noctu‘-Kreuz setzen.“ Die Anerkennung und Wertschätzung, dass Apotheker:innen in Bereitschaft seien, fehle. Dazu kämen die „ewigen Diskussionen um die 2,50 Euro Notdienstgebühr“. „Wenn Kunden mich fragen, ob sie die mit Karte zahlen können, winke ich nur noch ab.“ Tierärzte dürften doch auch 50 Euro Notdienstgebühr verlangen.
Auch die Frage einer Kundin um 4 Uhr morgens nach einer bestimmten Seife von La Roche-Posay sei kein Notfall, betont er. Bei seinem jüngsten Notdienst ging eine besonders exotische Anfrage ein: „Um 2 Uhr nachts hat eine Frau für ihre Tochter angerufen, die jetzt gleich entbinden würde und ein Plazenta-Set benötige und warum ich das nicht vorrätig habe.“ Auch die Fragen nach Kondomen, Notfallkontrazeptiva oder Schwangerschaftstests nähmen zu. Schwierig seien auch Rückfragen bei Entlassrezepten, da oft die Ansprechpartner in den Kliniken nicht mehr erreichbar seien.
Auch andere Apotheker:innen forderten zuletzt, eine größere Wertschätzung der Nacht- und Notdienste sowie eine Reform der Regelung. Zu den konkreten Forderungen gehören eine höhere Notdienstgebühr sowie eine Telefonnummer wie die 116117 für den ärztlichen Bereitschaftsdienst auch für Apotheken.