Seit Neujahr um 8 Uhr ist das Ehepaar Langer in der Hildesheimer Apotheke am Theater im Dienst: Inhaberin Birte-Maria Langer alleine im Handverkauf, ihr Mann Tobias Langer im Hintergrund am Telefon. Das bleibt auch bis heute Abend um 18.30 Uhr so, da es keine verfügbare Ablösung gibt. Somit ging der Notdienst für die Langers heute Morgen nahtlos in den normalen Apothekenalltag über. Anlass genug, mit einem Neujahrsgruß für die Apotheke vor Ort zu plädieren.
Das Thema Aufklärungsarbeit liegt den Langers, die die Apotheke seit 2022 führen, am Herzen: „Wir versuchen schon seit längerem auf Facebook und Instagram unsere Kunden zu informieren“, erklärt Tobias Langer. Dabei gehe es vor allem um Themen, die auch im Kundengespräch immer wieder aufkommen.
Langer, der als Nichtpharmazeut im Hintergrund seine Frau mit Bürotätigkeiten unterstützt, gab während des Megadienstes eine kurze Wasserstandsmeldung an die Follower:innen der Apotheke auf Instagram ab. Es gebe immer noch das gesellschaftliche Bild von Apotheken, denen es zu gut gehe. „Da dachte ich, es bietet sich jetzt einfach an, das Thema Notdienst und die Gründe für die Schieflage der Apotheken anzusprechen.“
In den ersten sechseinhalb Stunden bediente seine Frau rund 100 Kundinnen und Kunden, wodurch vor der Apotheke am Theater hin und wieder eine Schlange entstand. Die Kundschaft fragte sich, ob die Apotheke die einzige im Umkreis sei, die den Notdienst am ersten Tag des Jahres bestreitet. „Nein, im Notdienstkreis gibt es weitere Kollegen. Der nächste ist 25 Minuten mit dem Auto und 40 Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln entfernt“, erklärt Langer. „In einer Stadt wie Hildesheim würde man sich wünschen, dass am ersten Januar mehr als eine Apotheke direkt vor Ort ist. Das ist nicht möglich und wird auch so schnell nicht wieder möglich sein.“
Dafür benennt er auch die Gründe: „Immer weniger Apotheken müssen immer mehr Leute versorgen, wodurch die Einzugsgebiete immer größer werden. Das heißt, ihr werdet immer weiter fahren müssen.“ Zu diesem Zeitpunkt hatte das Ehepaar noch 28 Stunden Dienst vor sich, da niemand da war, der die Apothekerin ablösen konnte. „Meine Frau kam überhaupt nicht zum Sitzen, konnte nicht einmal frühstücken und war ab 8 Uhr eigentlich nur am Rennen.“
Dass die Notdienstkreise immer kleiner werden, falle den Leuten, die in einer Stadt wohnen, erst einmal weniger schnell auf, weiß Langer. „Hier in Hildesheim haben wir noch einen Kollegen direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite. Das sieht natürlich toll aus, zwei Apotheken in direkter Rufweite. Wie die Zahlen aussehen, wissen die Leute natürlich nicht.“
Was wir machen können, ist hier die Stellung zu halten, das versuchen wir jeden Tag. Was ihr tun könnt – an dieser Stelle einen schönen Gruß an Herrn Jauch: Bitte bestellt nicht bei Shop Apotheke.
Knapp über 200 Menschen hat das Paar letztlich im Neujahrsnotdienst versorgt. „Von 8 bis 12 Uhr nachts hatten wir 196 Kunden, dann noch einmal 10 in der Nacht“, berichtet er. „Da hatten wir schon deutlich schlimmere Nächte, in denen alle halbe Stunde jemand ein Nasenspray brauchte oder andere Dinge, bei denen man sich fragt, ob das wirklich ein Notfall ist.“
„Was wir machen können, ist hier die Stellung zu halten, das versuchen wir jeden Tag. Was ihr tun könnt – an dieser Stelle einen schönen Gruß an Herrn Jauch: Bitte bestellt nicht bei Shop Apotheke“, appelliert Langer an seine Zuschauerschaft. „Wir sind hier vor Ort, wir machen hier den Notdienst, stehen hier, zahlen die Gewerbesteuer, beschäftigen Mitarbeiter.“
Dass jeder den ein oder anderen Euro sparen wolle, dafür habe er zwar absolutes Verständnis; das habe man hierzulande getreu dem Motto „Geiz ist geil“ einfach gelernt. Dass die Versender im Bereich der verschreibungspflichtigen Medikamente Rabatte gewähren und sich somit über die Arzneimittelpreisverordnung (AmPreisV) hinwegsetzen, prangert Langer hingegen an. „Ich bin sehr enttäuscht, dass jemand wie Herr Jauch solche Praktiken unterstützt, die uns als Apotheke vor Ort untersagt sind und sich damit direkt am Apothekensterben beteiligt.“
Für Langer gibt es bezüglich der Versender einen weiteren „ganz großen Knackpunkt“: „Die Preise bei Versendern kommen daher zustande, dass die einen Logistikbetrieb machen. Nur, weil sie Ware verschicken, ist das keine Gesundheitsdienstleistung. Das ist pure Logistik. Da fehlt die Beratung, da fehlt die Arbeit am Menschen.“ Genau das könne nur die Apotheke vor Ort leisten.
Noch sei es möglich, das Apothekensterben zumindest einzudämmen, meint Langer: „Wir sind aktuell an einem Punkt, wo es absolut noch nicht zu spät ist, die Kurve zu kriegen“, so seine Überzeugung. „Jetzt haben wir noch eine gewisse Apothekendichte, jetzt bekommen wir die Lage noch gestemmt. Nur es muss in diesem Jahr etwas passieren.“
Für die Apothekenberufe müsse dringend eine Perspektive geschaffen werden, damit Betriebe erhalten bleiben und junge Pharmazeutinnen und Pharmazeuten Vor-Ort-Apotheken übernehmen – und nicht in die Industrie abwandern. „Auch wenn es ein Herr Lauterbach oder ein Herr Müller aus dem BMG nicht hören möchten, wenn sie immer sagen, wir können nicht nur über Vergütung oder das Fixum reden: Es muss Geld auch an dieser Stelle ins System.“ Man müsse sich nur einmal anschauen, was wirklich als Marge bei den Apotheken lande. „Im Vergleich stellt man dann fest, dass die Verwaltung der Krankenkassen doppelt so teuer ist wie 17.000 deutsche Apotheken zusammen.“
Werde weiterhin nichts unternommen, werden laut Langer sonst weiterhin Apotheken in hoher Zahl schließen, die Nachfolgersuche beschwerlich bleiben und ohnehin kaum noch jemand einen Job in der Apotheke übernehmen wollen. Irgendwann würde ein Punkt erreicht, an dem das Apothekensystem soweit zusammengeschrumpft sei, dass es kippe – dann würden auch die Notdienstversorgung nicht mehr funktionieren. „Und dann kommen irgendwelche Leute mit blöden Ideen und man holt sich seine Medikamente zukünftig wirklich bei dm ab und hat Verhältnisse wie in den USA.“