Skandalarzt oder Horror-Doktor wird der Niederländer Ernst Jansen genannt. Der einst respektierte Neurologe, der auch jahrelang in Deutschland praktiziert hatte, steht im Mittelpunkt des wohl größten medizinischen Strafprozesses der niederländischen Geschichte. Der heute 69-Jährige stellte Dutzende Fehldiagnosen, die Todesurteilen gleichkamen: Alzheimer oder Multiple Sklerose. Eine Frau beging daraufhin Selbstmord. Dafür verurteilte ihn ein Strafgericht 2014 zu drei Jahren Gefängnis ohne Bewährung. Doch muss er diese Strafe verbüßen? Darüber entscheidet das Berufungsverfahren, das am Montag in Arnheim beginnt.
Unbestritten ist, dass der Arzt am Krankenhaus von Enschede von Mitte der 1990er Jahre bis 2003 Dutzenden Patienten unermessliches Leid zugefügt hat. Dafür müsse er viel härter bestraft werden, meint die Staatsanwaltschaft, die in erster Instanz sechs Jahre Haft gefordert hatte.
Sie wählte für den Prozess neun exemplarische Fälle aus. Die meisten der mehr als 200 geschädigten Patienten wurden bereits außergerichtlich entschädigt. Bis Anfang 2013 hatte Jansen auch an mehreren deutschen Kliniken gearbeitet, etwa in Heilbronn. Dort wurden keine Fälle von Fehldiagnosen bekannt.
Jansen selbst bestreitet die Vorwürfe nicht, spricht aber von bedauerlichen Kunstfehlern. „Fehldiagnosen gehören nun einmal zum Arztberuf“, hatte er vor Gericht im vergangenen Jahr erklärt. Er bedaure das. „Heute würde ich aber ebenso handeln.“
Die Verteidigung setzt jetzt auf eine neue Taktik. Sie will, dass der Angeklagte für unzurechnungsfähig erklärt wird, und stützt sich auf ein ärztliches Gutachten. „Das wurde damals im ersten Prozess einfach vom Tisch gefegt“, sagt Star-Anwalt Peter Plasman.
Die Richter waren aber einem anderen Gutachter gefolgt, der Jansen eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bescheinigt hatte. Das Berufungsgericht hat bereits ein neues psychologisches undneurologisches Gutachten angeordnet. Es soll klären, ob Jansen 1990 bei einen Autounfall einen Hirnschaden erlitten hatte und dadurch nicht mehr einwandfrei urteilen konnte.
Nun bekommt Jansen Unterstützung von unerwarteter Seite. Seine Ex-Frau ist davon überzeugt, dass er selbst Patient ist. „Einen Patienten muss man nicht in den Kerker werfen, das hat keinen Sinn“, sagte sie im niederländischen Fernsehen. Nach dem Autounfall, bei dem er unter anderem einen Beckenbruch erlitt, habe sich seine Persönlichkeit stark verändert.
Die Diagnose Hirnschaden stellte auch die Ärztin Metta de Noo, die über den Fall ein Buch veröffentlichte. „Er ist ein Arzt, der krank ist und dafür behandelt werden muss. Er ist kein Verbrecher.“
Die Medizinerin ist in den Niederlanden fast schon eine Berühmtheit. Denn sie hatte einen der spektakulärsten Justizirrtümer der Niederlande enthüllt. 2003 war eine Krankenschwester für mehrere Morde zu lebenslanger Haft verurteilt worden, 2010 kam auch durch ein Buch von Metta de Noo der Freispruch. Der Fall von „Lucia de B.“ wurde verfilmt und kam 2014 in die Kinos.
Dass die Ärztin nun auch im Fall Ernst J. für eine spektakuläre Wende sorgen wird, ist aber unwahrscheinlich. Bisher hat die Verteidigung sie nicht als Zeugin aufgerufen. Eines ist sicher: Jansen wird nie wieder als Arzt arbeiten. In Deutschland gab er seine Approbation zurück. 2013 erteilte ihm das niederländische Disziplinargericht ein lebenslanges Berufsverbot.
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