NDR: Der Krebsapotheker Silvia Meixner, 07.11.2017 15:15 Uhr
Am kommenden Montag beginnt vor dem Landgericht Essen der Prozess gegen den Zyto-Apotheker Peter S. Heute Abend berichtet der NDR um 21.15 Uhr über den Fall: Unter der Überschrift „Der Krebsapotheker“ widmet sich das Magazin „Panorama – Die Reporter“ dem Skandal. Rechtsanwältin Sabrina Diehl vertritt Opfer und deren Angehörige. Sie sagt: „Bei den Betroffenen gibt es große Wut.“
Diehl vertritt 27 Opfer beziehungsweise Angehörige von Verstorbenen. „Ich vertrete die Patienten bei der Durchsetzung von Schadensersatz und Schmerzensgeld.“ Möglicherweise kommen noch Mandanten hinzu: „Es gibt einige, die noch überlegen und abwarten. In Bottrop ist der Aufschrei bei der Bevölkerung sehr groß.“ Die Höhe des zu erwartenden Schadenersatzes sei „je nach Einzelfall verschieden“. Faktoren seien hierbei die Länge der Leidenszeit, bei Verstorbenen komme es darauf an, wie viele Hinterbliebene – Ehegatten, Kinder – es gebe. Auch die Beerdigungskosten könnten mit eingerechnet werden.
Schwierig ist laut Diehl der Nachweis, dass die Patienten tatsächlich wegen der unterdosierten Zytostatika gestorben sind, beziehungsweise dass ihr Leben durch diese verkürzt wurde. „Zum Teil ist das über Tumormarker beweisbar. Wenn es keinerlei Wirkung und keine Nebenwirkungen gab, knüpfen wir dort an.“
Unter den Betroffenen, die von ihrer Kanzlei vertreten werden, herrsche „Wut, Verzweiflung und Fassungslosigkeit“. Diehl sagt: „Viele verzweifeln am Rechtsstaat. Man hat großes Vertrauen in den Apotheker, glaubt, dass er ein guter Mensch ist. Aber in jeder Branche gibt es schwarze Schafe.“
Für den Prozess sind bis Mitte Januar 14 Verhandlungstermine angesetzt. Beim Gericht sind bislang zwei Zivilklagen eingegangen, zudem gibt es 17 Nebenkläger. Die Staatsanwalt sieht in 27 Fällen die Möglichkeit, dem Bottroper Apotheker versuchte Körperverletzung nachzuweisen. Bei diesen Patienten konnten Infusionsbeutel sichergestellt werden, die aus der Bottroper Apotheker stammen und die mutmaßlich unterdosiert waren. Die Staatsanwaltschaft hat nur diese 27 Patienten oder ihre Angehörigen als Nebenkläger zugelassen. Die Strafkammer hingegen beschloss jetzt, dass sich mehr als 3000 Betroffene, die eine der rund 62.000 umstrittenen Rezepturen erhalten haben, dem Strafverfahren anschließen dürfen.
Die Anklage geht von 61.980 Fällen aus, in denen S. Zubereitungen unter Verstoß gegen die Vorschriften in den Verkehr gebracht hat. Jeder einzelne Fall wird als besonders schwerer Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) qualifiziert – hier drohen jeweils bis zu zehn Jahre Haft. Diese Fälle umfassen alle Abgaben von Zubereitungen aus einer Liste von 35 Medikamenten, bei denen die Staatsanwaltschaft signifikante Mengenabweichungen bei Einkauf und Abrechnung festgestellt hat. Bei der Festnahme wurden zum Teil Präparate mit weiteren Wirkstoffen sichergestellt.
Die Staatsanwaltschaft hatte am 11. Juli Anklage gegen den 47-jährigen Apotheker erhoben. S. wird vorgeworfen, von Anfang 2012 bis zu seiner Festnahme am 29. November 2016 bei der Herstellung von Sterilrezepturen von den geltenden Herstellungsregeln und ärztlichen Verordnungen abgewichen zu sein.
S. wird zur Last gelegt, die Beschaffungspraxis der Apotheke systematisch so ausgerichtet zu haben, dass es von vornherein unmöglich war, die große Vielzahl der von ihm vertriebenen Zubereitungen mit den verschriebenen Wirkstoffen in den verschriebenen Mengen herzustellen. Er soll die Zubereitungen daher in einer nicht näher quantifizierbaren Vielzahl von Fällen mit deutlich weniger Wirkstoff als ärztlich verordnet in den Verkehr gebracht haben.
Aufgeflogen war der mutmaßliche Betrug dank zweier ehemaliger Mitarbeiter: Marie Klein und Martin Porwoll hatten Beweise gesammelt und waren dann als Whistleblower an der Aufklärung des Skandals beteiligt. Sie hatten sich ausführlich gegenüber dem Rechercheverbund Correctiv geäußert.
Der Zyto-Apotheker schweigt bislang eisern, am Montag bekommt er vor Gericht die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Die Ärztekammern in Nordrhein-Westfalen wollen untersuchen, ob die Mediziner in diesem Fall ihren Informationspflichten nachgekommen sind. Offenbar wurde ein Teil der Patienten, die in der Apotheke von S. Infusionen abholten, nicht ausreichend informiert.