Naturheilkunde

Apotheker und Schamane

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Berlin -

Udo Fritz führte 20 Jahre lang eine Landapotheke in Friedrichshafen. Zum Ende des vergangenen Jahres musste er schließen, nun arbeitet er in Vollzeit als Heilpraktiker. Seine Spezialisierung ist ungewöhnlich: Fritz hat sich zum Schamanen ausbilden lassen. Pharmazie und Schamanismus sind für ihn kein Widerspruch, sondern zwei Wege mit dem selben Ziel.

Fritz ist Apotheker aus Leidenschaft. Er hat in Tübingen Pharmazie studiert und arbeitete zunächst als angestellter Apotheker, bis er sich 1996 selbstständig machte. Doch im vergangenen Jahr verzog ein Arzt und sein Mietvertrag lief aus. Fritz schloss die Apotheke. Seit Jahresanfang arbeitet er fünf bis sechs Tage in der Woche in seiner Naturheilpraxis im baden-württembergischen Oberteuringen. Trotzdem steht er weiterhin einen Tag pro Woche hinter dem HV-Tisch: Fritz hilft einer ehemaligen Kommilitonin aus. „Ich bin immer gerne in der Apotheke“, sagt er.

Vor etwa 13 Jahren begann er, sich zum Heilpraktiker weiterbilden zu lassen. „Ich fand den Einsatz von Naturstoffen schon immer spannend, also auch die Naturheilkunde und die Homöopathie“, erklärt Fritz. Gute drei Jahre dauerte die Fortbildung, dann legte er die staatliche Prüfung zum Heilpraktiker ab. Ein großes Interesse an der Akupunktur führte dazu, dass er sich über weitere drei Jahre hinweg im schweizerischen Winterthur spezialisierte. „Dabei lernte ich ein paar abgedrehte Chinesen kennen, die mir sagten: 'Ja, aber das geht auch ohne Nadeln’“, sagt Fritz.

Sein Interesse war geweckt. Für den Apotheker stellte sich die Frage, wie es nun weitergehen sollte: „Um alles wirklich zu lernen, hätte ich in ein taoistisches Kloster in China gehen müssen“, sagt er. Fritz entschied sich für einen „Mittelweg“ zwischen der europäischen und der chinesischen Heilkunde: „Ich entdeckte den sibirischen Schamanismus vom Baikalsee für mich.“

Entsprechende Fortbildungen gebe es hierzulande „öfter als man denkt“. München sei ein Zentrum; auch in Berlin würden mittlerweile vermehrt Kurse angeboten. Schamanismus sei zuletzt in den 1960er Jahren im Trend gewesen. „Dann haben es die Yogis etwas verdrängt“. Nun sieht Fritz den Schamanismus in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. „In der Schweiz ist die Lehre aber weiter verbreitet; dort gibt es dazu Angebote fast in jeder größeren Ortschaft“, so Fritz.

Pharmazie, eine klassische Naturwissenschaft, und Schamanismus stellen für Fritz keineswegs einen Gegensatz dar. „Schamanismus ist für mich Naturwissenschaft“, sagt er. Denn: „Die Natur schafft das Wissen des Schamanen.“ Doch die Technik, wie sich Schamanen ihr Wissen aneigneten, unterscheide sich vom Ansatz der klassischen Naturwissenschaften, gibt Fritz zu. Oftmals werde die Lehre als Religion wahrgenommen, doch das entspricht nicht seiner Auffassung: „Meine Lehrer sagen immer: Im Schamanismus gibt es nichts zu glauben, nur zu wissen.“ Fritz mag auch den „Showeffekt“ nicht, mit dem sich manche Schamanen umgeben. „Wer zu mir in die Praxis kommt und einen bunt angezogenen Menschen mit Federn im Haar erwartet, wird enttäuscht“, sagt er.

Für ihn sind sowohl Pharmazie als auch Schamanismus sehr wichtig. „Ich bin dankbar für Antibiotika – denn ich weiß, dass ich damit Menschen helfen kann“, sagt Fritz. Wenn die Arzneimittelforschung auf Pflanzenwirkstoffe setze, würden sich beide Ansätze bereits überschneiden. „Die Grenzen sind fließend“, erklärt er.

Doch nicht immer reiche die klassische Naturwissenschaft aus, um Menschen zu heilen: „Für die Dinge, die wir nicht greifen können, brauchen wir einen Grenzgänger – den Schamanen.“ Es sei ein anderer Behandlungsansatz, der aber nach seiner Erfahrung ebenfalls helfe. „Also ist die Option gut, genauso wie die Pharmazie“, sagt Fritz. Nach schamanischer Methode bietet Fritz Menschen mit schweren Traumata eine „psycho-emotionale Behandlung“ an. Wer ihn aufsuche, müsse etwa einen Selbstmord in der Familie verarbeiten, habe eine Scheidung hinter sich oder sei vergewaltigt worden. Auch Führungskräfte, die im Beruf stark eingespannt seien, kämen zu ihm in die Praxis.

Fritz hilft ihnen, in dem er zunächst eine Analyse vornimmt: „Ich finde heraus, wo genau in ihrem Leben es knackt“, erklärt er. Dabei versuche er, die Schilderungen aus einem anderen Blickwinkel wahrzunehmen. „Das hat Überschneidungen zur Psychologie“, sagt Fritz.

Er will zu Dingen vorzudringen, an die sich die Patienten nicht mehr erinnern können. „Dazu 'parke' ich das Wachbewusstsein – sie können dann für eine Weile nicht denken“, sagt Fritz. Auslösen kann er diesen Zustand mit Trommeln. Der Hypothalamus, laut Fritz ein unterbewusstes Wahrnehmungszentrum im Gehirn des Patienten, werde dadurch aktiviert. Fritz vergleicht den Zustand mit einem Tagtraum: „Man schläft nicht, ist aber auch nicht richtig wach.“ Die Behandelten finden währenddessen in sich ein persönliches Symbol, das sie anschließend aufzeichnen. „Dieses Symbol zu betrachten, hilft ihnen, eingefahrene Denkmuster zu lösen“, erklärt Fritz. Die Zeichnung könne daher etwa als Desktop- oder Smartphonehintergrund genutzt werden.

Fritz bietet auch „Seelenbegleitung durch den Tod“ an. Nach dem Verständnis der Schamanen geht die Seele nach dem Tod nicht verloren. „Beim Tod steigt die Seele vielmehr aus einem kaputten Auto aus“, sagt Fritz. Aber manche würden nicht aussteigen, was zu Problemen im Alltag der Lebenden führe. „Wir haben dann das Gefühl, dass der Verstorbene noch bei uns ist“, sagt Fritz. Als Schamane helfe er den Seelen, zu gehen.

Eine Behandlung in der Heilpraxis dauere mindestens eine halbe Stunde, unter Umständen aber auch drei Tage. Fritz kann von der Praxis leben: „Mit einer guten Heilpraxis kann man so viel einnehmen wie ein niedergelassener Arzt.“ Davon sei er zwar noch entfernt, aber es gehe in die Richtung.

Fritz' Kunden kommen inzwischen vermehrt aus seinem Dorf. „Am Anfang waren sie eher skeptisch, da kamen die Patienten aus etwa 20 bis 30 Kilometern Entfernung“, so Fritz. Aber: „Kaum jemand kommt sowohl zu mir in die Apotheke als auch in die Heilpraxis“, sagt er. Beide Kundenkreise würden sich fast gar nicht überschneiden. „Aber ich wundere mich nicht, wenn jemand in der Apotheke erst einmal seine Medikamente auspendelt“, so Fritz.

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