Derzeit gibt es einen ungewöhnlich hohen Anstieg von Lungenentzündungen, die durch Mykoplasmen ausgelöst werden. Betroffen sind insbesondere Kinder und Jugendliche. Obwohl Infektionen mit diesem Erreger jedes Jahr vorkommen, liegen die aktuellen Fallzahlen deutlich über dem Durchschnitt.
Beim Erreger Mycoplasma pneumoniae handelt es sich um ein parasitär lebendes Bakterium. „Mykoplasmen sind im Wesentlichen auf den Wirt angewiesen, und das ist ausschließlich der Mensch“, erklärt Biologe Dr. Roger Dumke, der am Institut für Medizinische Mikrobiologie und Virologie am Uniklinikum Dresden das Konsiliarlabor des Robert Koch-Instituts (RKI) für Mykoplasmen leitet. Dieser Erreger unterscheidet sich von anderen Bakterien dadurch, dass er keine Zellwände besitzt. Die Konsequenz: Er kann nicht mit gängigen Antibiotika bekämpft werden.
Infektionen mit dem Bakterium verlaufen zwar meist mild, können aber in manchen Fällen schwerwiegender sein. Der Erreger wird hauptsächlich durch Husten und Niesen verbreitet, und die Symptome treten typischerweise ein bis vier Wochen nach Kontakt auf. Sie ähneln oft einer Erkältung und umfassen Husten, Müdigkeit, Fieber und Halsschmerzen. Bei jüngeren Patienten können auch Durchfall, Erbrechen oder Keuchen auftreten.
In schweren Fällen können Komplikationen wie Asthmaanfälle oder schwere Lungenentzündungen entstehen. Die Krankheit entwickelt sich oft schleichend, was ihre Erkennung erschwert, da die Symptome milder sind als bei einer typischen Lungenentzündung. Meistens erholen sich Betroffene ohne Medikamente, während einige spezielle Antibiotika benötigen. Resistenzen sind in Deutschland selten.
„Wir haben aktuell wesentlich mehr Fälle, und damit auch einen höheren Prozentsatz an schweren Erkrankungen“, erklärt Dumke. „Die Welle ist unbestritten.“ Im Vergleich zu vor der Corona-Pandemie gebe es einen Anstieg der Infektionen um das 10- bis 20-Fache.
In seiner Gemeinschaftspraxis mit dem Schwerpunkt Lungenheilkunde in München hat der Facharzt Dr. Frank Powitz seit Sommer weit mehr Lungenentzündungen festgestellt als in den vergangenen Jahren, darunter viele durch Mykoplasmen. Sein Leverkusener Kollege Norbert Mülleneisen wiederum kann in seiner Praxis aktuell keinen Anstieg von Mykoplasemen-Pneumonien feststellen.
Eine flächendeckende Untersuchung, ob Infektionen mit Mykoplasmen vorliegen, gibt es in Deutschland nicht. Eine Meldepflicht, sollte der Erreger über einen Abstrich aus Nase oder Rachen oder einer Messung im Blut festgestellt werden, hat in Deutschland nur Sachsen: Nach Angaben der Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen gab es im Freistaat in diesem Jahr bis Mitte September mehr als 12.000 Meldungen für eine Infektion. Darunter fallen zwar auch andere Mykoplasmen-Arten als Mycoplasma pneumoniae, aber dennoch ist der Lungenerreger laut Dumke hauptverantwortlich für den Anstieg. Zum Vergleich: 2023 lag die Zahl der Mykoplasmen-Meldungen zu diesem Zeitpunkt bei rund 2000, im Vor-Corona-Jahr 2019 bei knapp 1200.
Dumke spricht von einem späten Nachholeffekt nach der Corona-Pandemie. Einerseits könne dieser mit Untertypen des Erregers zusammenhängen. Alle paar Jahre gibt es dort leichte Veränderungen, wodurch es auch früher schon zu Anstiegen der Infektionszahlen kam. Nach dem Wegfall der Corona-Schutzmaßnahmen könnten mögliche Veränderungen der Verteilung der Untertypen diesmal besonders ausgeprägt sein – und so das Immunsystem von mehr Menschen umgehen.
Andererseits hatten nach Dumkes Auffassung die Menschen durch die Hygienemaßnahmen während der Pandemie wenig Kontakt mit dem Erreger. Die spezifische Immunantwort in der Bevölkerung in Deutschland auf Mycoplasma pneumoniae müsse erst wieder aufgebaut werden. „Die Welle wird sicherlich wieder abebben“, sagt er. „Wann sie das tut, ist noch nicht klar.“
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