Katastrophenhilfe

Mosambik: Apotheker auf Rettungsmission Tobias Lau, 29.04.2019 14:32 Uhr

Berlin - 

Der Münchner Apotheker Dr. Harld Pudritz hilft nicht nur den Menschen in seiner Heimat. Der Pharmazeut stellt seine Fähigkeiten in den Dienst der Johanniter-Soforthilfe – unentgeltlich in seiner Freizeit. Bis Mitte April war er in Mosambik im Einsatz, um den Opfern des Zyklons Idai erste Hilfe zukommen zu lassen.

Die Verheerungen, die Idai in Mozambik und Simbabwe hinterlassen hat, sind wahrlich apokalyptisch: Nachdem der Sturm mit Windgeschwindigkeiten von knapp 200 km/h Häuser abdeckte, verwüsteten schwerste Überschwemmungen die übrig gebliebene Infrastruktur. Mindestens 1000 Menschenleben forderte die Katastrophe und die Zahl steigt stetig weiter. Allein in Mosambik wurden 240.000 Häuser zerstört, eine halbe Millionen Bauern steht vor dem Nichts – die UN warnt bereits, dass dem Land eine massive Hungersnot droht. Laut der Weltorganisation für Meteorologie war es „eine der schlimmsten durch Wetter verursachten Katastrophen, die jemals die Südhalbkugel getroffen haben“.

Pudritz konnte also schon ahnen, dass da etwas auf ihn zukommt. „Ich wusste aus den Nachrichten von den Überschwemmungen in Mosambik und habe dann versucht, mich im Internet weiter zu informieren“, erinnert er sich. Ende März – knapp zwei Wochen, nachdem der Zyklon bei der Hafenstadt Beira auf das Festland getroffen war – kam dann die SMS von den Johannitern. Im Katastrophenfall informiert deren Alarmierungszentrale ihre ehrenamtlichen Krisenhelfer per Telefon und bittet um kurzfristige Zu- oder Absage – bei Pudritz besonders kurzfristig. „Ich arbeite in einem Bereich, in dem ich mein Handy nicht immer am Mann haben kann, deshalb habe ich die SMS erst um 15 Uhr gesehen – und musste bis 18 Uhr antworten.“ Also klärte er im Eiltempo mit seinem Chef ab, dass er wenige Tage später für zwei Wochen abwesend sein würde: zur Soforthilfe in Südostafrika.

Die Auslands- und Soforthilfe der Johanniter gibt es seit den 60er Jahren, in ihrer heutigen Form wurde sie 2006 aufgestellt. Pudritz ist Teil des 2017 von der Weltgesundheitsorganisation zertifizierten Emergency Medical Teams (EMT) aus Ärzten, Notfallsanitätern, Rettungsassistenten und Logistikern, das auf schnelle Auslandseinsätze im Katastrophenfall spezialisiert ist. „Die insgesamt bis zu 24 Einsatzkräfte des Teams stehen binnen 48 Stunden für zweiwöchige Einsätze im Zielland zur Verfügung“, erklärt eine Johanniter-Sprecherin auf Anfrage. Und Pudritz ist stets bereit. „Der Rucksack mit den wichtigsten Sachen ist stets vorgepackt“, sagt er. Er beinhaltet das wichtigste Equipment für zwei Wochen Tropen-Einsatz: Kleidung, Stifte, Notizbücher, Duschgel, Zahnputzzeug, Handtuch, Sonnenschutz, Schirmmütze, Sonnenbrille und Sicherheitsschuhe mit Stahlkappen und trittsicherer Sohle.

Der Apotheker hat Glück, dass er dieses Engagement mit seinem Arbeitsplatz vereinen kann. „Meine Vorgesetzten unterstützen mich einerseits, wissen aber auch, dass sie meine Abwesenheit auffangen müssen“, sagt Pudritz. Am Uniklinikum München ist er Teamleiter im Zytostatikalabor der Krankenhausapotheke. Nach Approbation 2005 und darauf folgender Promotion begann er 2009 am Standort Großhadern. Noch länger als der Pharmazie ist er allerdings den Johannitern verbunden: Bei deren Rettungsdienst hat er seinen Zivildienst absolviert und ist ihnen seitdem treu geblieben, nicht zuletzt als ehrenamtlicher Fahrer.

Vor zehn Jahren dann fällte er die Entscheidung, sich auch in der Auslandshilfe engagieren zu wollen. Seine Feuertaufe hatte er 2013, als der Taifun Haiyan die philippinischen Inseln Leyte und Samar verwüstete. Über 10.000 Menschen starben damals, über 4 Millionen wurden obdachlos. Pudritz war mit einem Medizinischen Soforthilfeteam vor Ort, um erste Hilfe zu leisten. Im Logistikteam hat er dafür gesorgt, dass die Arbeit der Mediziner reibungslos lief. „Pharmazeutisch habe ich da nur am Rande gearbeitet, beispielsweise als ich mit den Medizinern rausgefahren bin und dort Tabletten ausgeeinzelt und abgegeben habe“, erzählt er. Die Unterbringung sei trotz der katastrophalen Zustände recht annehmlich gewesen: Das Team kam in einem Hotel unter, das zwar teilweise kein Dach mehr hatte, aber wenigstens das Stromnetz sei bereits wieder hergestellt gewesen.

Davon konnte bei seinem letzten Einsatz in Mosambik keine Rede sein. Anfang April ging es von Frankfurt per Flugzeug in die Hafenstadt Beira – dort war der Zyklon erstmals auf die Küste getroffen und hatte die Stadt in eine Trümmerwüste verhandelt. Der Nachrichtenagentur APO zufolge wurden 90 Prozent von Beira zerstört, tagelang war der Ort von der Außenwelt abgeschnitten. Strom- und Telefonnetz waren zusammengebrochen, weggeschwemmte Brücken und zerstörte Straßen machten es fast unmöglich, die Stadt zu erreichen.

Nach der Ankunft mussten sich die Nothelfer deshalb erst einmal zwei Tage lang dem Assessment widmen, also „schauen, wo überhaupt welche Hilfe gebraucht wird“, drückt Pudritz es aus. In Beira habe man die Verwüstungen überall gesehen. „Aber die Mosambikaner waren sehr fleißig dabei, das wieder aufzubauen. Allerdings konnte man überall an den Gebäuden noch sehen, wie hoch das Wasser gestanden hatte. Das konnte man sich kaum vorstellen. Patienten haben erzählt, wie sie während der Flut mehrere Tage auf Bäumen oder Hausdächern ausharren mussten. Das war sehr beklemmend.“ Einen „richtigen“ Mechanismus, mit traumatischen Erfahrungen in Katastrophengebieten umzugehen, könne man niemandem beibringen. „Ich denke, da hat jeder seinen eigenen Weg, damit umzugehen.“ Die meisten seiner Kollegen bei den Johannitern seien aber vom Rettungsdienst und dementsprechend erfahren – auch Pudritz ist 20 Jahre ehrenamtlich Rettungswagen gefahren.

Als Einsatzort wurde Grudja festgelegt, ein kleiner Ort rund 90 Kilometer Luftlinie von Beira entfernt. Als Senior-Logistiker war Pudritz für das Einsatzmaterial verantwortlich: Rund zehn Tonnen Material mussten auf LKW verladen werden, darunter auch aus Deutschland eingeführte Tetanus-Impfstoffe. „Sicherzustellen, dass deren Kühlkette eingehalten wird, war eine meiner wenigen pharmazeutischen Tätigkeiten“, erklärt der Apotheker.

Am nächsten Tag zog die Hilfskarawane dann los zum Einsatzort: Material per LKW, Helfer per Helikopter. „Mit dem Hubschrauber waren wir nach einer halbe Stunde in Grudja angekommen, die LKW brauchten einen halben Tag, weil die Straßen komplett zerstört waren“, erläutert er die logistischen Schwierigkeiten. Auch er selbst konnte aus der Luft einen Eindruck von den Zerstörungen machen: „Ich habe sehr viele Häuser ohne Dächer gesehen, ganz Flugzeuge wurden vom Sturm weggeschleudert und lagen kopfüber herum.“

Mit Ankunft des 16-köpfigen Teams begann die Arbeit aber erst: Das Camp musste so schnell wie möglich einsatzbereit gemacht werden, vom Aufbau der Zelte, über die Sicherstellung der Strom- und Wasserversorgung bis zum Küchenzelt und den sanitären Einrichtungen. „Nach etwa einem Tag ist man dann so weit, dass man in der Zeltstadt arbeiten kann – und damit meine ich keinen Acht-Stunden-Arbeitstag, sondern von Sonnenaufgang bis in die Nacht.“

Acht-Stunden-Schichten gab es für Pudritz auch in den darauffolgenden Tagen nicht: „Im Schnitt hat man pro Nacht vier Stunden Schlaf gekriegt“, erinnert er sich. Gegen sechs Uhr habe der Tag begonnen, nach Frühstück und Morgenbesprechung habe das medizinische Team sich für die Fahrt in den Einsatz fertig gemacht und sei losgezogen. Pudritz war dann im Lager dafür verantwortlich, dass alles funktioniert: von der technischen Ausstattung des medizinischen Teams über die Kontrolle des Trinkwassers bis zur Vergrößerung der Sickergrube musste er das Camp am Laufen halten. „Das klingt nach wenig, ist aber sehr viel.“ Entsprechend vergingen die zwei Wochen im Einsatz. Zeit, die Ereignisse zu verarbeiten, blieben vor Ort nicht. „Sowas braucht eine Weile, bis man es im Kopf verarbeitet hat.“ Selbst dem nachfolgenden Team konnte nur eine kurze Übergabe am Flughafen gegeben werden. „Vom Rückflug selbst habe ich dann kaum etwas mitbekommen“, sagt Pudritz und muss ein wenig lachen. Es gab schließlich eine Menge Schlaf nachzuholen. Nach der Ankunft und den notwendigen Nachbesprechungen ging es dann für den Pharmazeuten auch direkt zurück nach München: „Das erste, was ich nach der Rückkehr gemacht, habe: mich auf die Couch gelegt!“

Während Pudritz sich zuhause von der Schwere der Arbeit erholen kann, geht der Schrecken für die Menschen in Mosambik weiter. Noch während die Mosambikaner die Schäden von Idai beseitigten, schlug die Natur erneut zu: Ende der Woche verwüstete der Zyklon Kenneth den Norden des Landes. Die Vereinten Nationen befürchten eine humanitäre Katastrophe. Dass Pudritz gleich nochmal in den Einsatz muss, ist sehr unwahrscehinlich. Dennoch: „Meine Sachen sind gewaschen und gepackt, der Rucksack steht bereit.“