Es ist ein einschneidender Schritt der Liberalisierung im deutschen Arzneimarkt: Schwer Erkrankte können seit dem 10. März auf Rezept Cannabis in Apotheken bekommen. Patienten brauchen nicht mehr wie bisher eine Ausnahmeerlaubnis, entsprechende Vorschriften laufen aus. Und während Erkrankte bisher Cannabis in der Regel selbst bezahlen mussten, sind Krankenkassen nun verpflichtet, die Therapiekosten zu übernehmen.
Was letztere ärgert, ist für Firmen die Hoffnung auf ein lukratives Geschäft mit Hanf – so wie in Übersee. Denn der Wirkstoff von Cannabis kann bei Multipler Sklerose und gegen chronische Schmerzen bei Rheuma helfen. Auch die Folgen von Chemotherapien bei Krebspatienten kann er lindern, ebenso soll er gegen die Symptome der Nervenkrankheit Tourettesyndrom helfen. In Kanada und den USA hat sich die Behandlung per Hanf-Pflanze zum Milliarden-Markt entwickelt. 28 US-Bundesstaaten haben medizinisches Cannabis laut Branchentreff International Cannabis Business Conference zugelassen, acht haben das Rauschmittel völlig legalisiert.
In Deutschland indes ist die Zielgruppe für Cannabis-Therapien bisher klein. Nur rund 1000 Patienten hatten bislang eine Ausnahmeerlaubnis zum Kauf von Cannabis für medizinische Zwecke. Doch die Nachfrage dürfte wachsen, glauben Branchenvertreter: „Cannabis als Medizin hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland stark ausgebreitet“, sagt Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbands.
Wirkstoffe aus Cannabis produziert etwa Bionorica aus Neumarkt in der bayerischen Oberpfalz. Apotheken können die Substanzen in Form von Rezepturarzneimitteln zu Tropfen oder Kapseln weiterverarbeiten oder mit einem Verdampfer für die Inhalation zur Verfügung stellen, heißt es bei dem Hersteller. Seit Monaten bereitet sich das Unternehmen auf die Freigabe vor und will weiter in Forschung investieren. Bisher machten Cannabis-Produkte weniger als zwei Prozent der zuletzt 254 Millionen Euro Jahresumsatz von Bionorica aus. Weitere Anbieter von Cannabis-Wirkstoffen sind THC Pharm aus Frankfurt und Fagron aus den Niederlanden.
Wo kommt nun das Cannabis zur Behandlung der Patienten her? Derzeit importiert der Bund laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Stoff vor allem aus den Niederlanden und Kanada. Dort wird es für medizinische Behandlungen unter staatlicher Kontrolle angebaut. Im vergangenen Jahr wurden 170 Kilogramm sogenannter Medizinalhanf nach Deutschland eingeführt. Das ist gut drei Mal so viel wie noch 2014.
Künftig soll es nicht beim Import bleiben. Deutschland will seinen „Eigenbedarf“ selbst decken – und hat dazu Anfang März eine staatliche Cannabis-Agentur unter dem Dach des BfArM gegründet. Sie werde die Versorgung von Patienten mit Cannabis „in pharmazeutischer Qualität“ sicherstellen, erklärt BfArM-Präsident Karl Broich.
Die Agentur soll den Hanf aber auch nicht selbst anbauen. Sie will Aufträge EU-weit an Unternehmen ausschreiben, die sich um die Plantagen in Deutschland kümmern. Das Verfahren soll in wenigen Wochen starten, sagt ein Sprecher. Bei der Behörde ist man bemüht um Distanz zur Droge: „Die Ernte wird nicht ins BfArM transportiert, nicht dort gelagert und auch nicht von dort aus weiterverteilt.“ Das würden die Anbaubetriebe und weitere Firmen übernehmen.
Wer dafür in Frage kommen könnte und welche Vorschriften für den Anbau gelten sollen, will der Sprecher aus vergaberechtlichen Gründen nicht näher eingrenzen. Die Agentur wiederum soll die Ernte erwerben und sie an Hersteller von Arzneimitteln, Großhändler oder Apotheken weiterverkaufen. Gewinne dürfen Agentur und BfArM dabei nicht erzielen – wohl aber «Personal- und Sachkosten» berücksichtigen.
Wie viel Cannabis hierzulande benötigt wird, ist unklar. Das BfArM multipliziert die 1000 Patienten, die derzeit Ausnahmegenehmigungen haben, mit einem Tagesbedarf von einem Gramm – und kalkuliert so allein für sie mit 365 Kilogramm pro Jahr. Mit der ersten Ernte unter Staatsaufsicht rechnet das BfArM im Jahr 2019. Bis dahin kontrolliert wie bisher die Bundesopiumstelle den Cannabis-Import. Sie soll zudem in den nächsten fünf Jahren die Wirkung von Cannabis weiter erforschen – denn bisher ist die noch nicht komplett geklärt.
Das lässt etwa die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) an Behandlungen mit Cannabis zweifeln. „Für den dauer- und regelhaften Leistungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung fehlt der Nachweis der Wirksamkeit“, erklärte der GKV-Spitzenverband. Mit der neuen Studie der Bundesopiumstelle müsse sich zeigen, ob „die Cannabis-Therapie dauerhaft zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehört“. Für die Kassen bedeutet die Freigabe hohe Kosten: Eine Therapie mit Cannabis kostet im Monat durchschnittlich 540 Euro, so wird es im neuen Gesetz veranschlagt.
Den Deutschen Hanfverband ficht das nicht an. Er erwartet einen „massiven Anstieg“ der Therapie-Zahlen. „Einige hunderttausend Menschen könnten hierzulande von Cannabis-Behandlungen profitieren“, sagt Geschäftsführer Wurth. Für Firmen sei das ein gutes Geschäft. „In Colorado mit seinen sechs Millionen Einwohnern wurden vergangenes Jahr 400 Millionen Dollar mit Cannabis-Therapien umgesetzt“, berichtet er. Und in den Bundesstaaten New Mexiko oder Hawaii würden etwa ein Prozent der Bevölkerung mit Cannabis behandelt – das entspreche in Deutschland gut 800.000 Menschen.
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