DDR-Apotheken

Apotheker in der Mangelwirtschaft

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Berlin -

Improvisieren und geschickt haushalten: Beides mussten Apotheker in der DDR beherrschen. Ende der 1980er arbeitete Michael Körner in der Löwen-Apotheke im sächsischen Annaberg. Heute ist er Inhaber der Adler-Apotheke im Ort. Körner erzählt, was sich für ihn nach dem Mauerfall geändert hat und wie DDR-Apotheker mit chronischen Lieferengpässen und Großherstellungen von Rezepturen umgingen.

Nach dem Abitur und einem anderthalbjährigen Pflichtwehrdienst begann Körner 1981 an der Humboldt-Universität in Berlin sein Pharmaziestudium. Die Regelstudienzeit betrug in der DDR zehn Semester. Bereits im sechsten Semester wurden die Studierenden gefragt, in welcher Region sie als Apotheker tätig sein wollten. „Meine Frau und ich fühlte uns nach zweieinhalb Jahren in Berlin noch nicht heimisch“, erinnert sich Körner. Daher gab er an, ins Erzgebirge – ihre Heimat – zurückkehren zu wollen.

Drei Apotheken in der Gegend wurden ihm 1986 nach seinem Studienabschluss als Diplompharmazeut zur Auswahl gestellt, um sein Praktisches Jahr zu absolvieren – das sogenannte „Kandidatenjahr“. Wie auch heute war dieses Praxisjahr Voraussetzung für die Approbation. Körner ging in die Löwen-Apotheke im sächsischen Annaberg: „Die Apotheke sagte mir am meisten zu, denn dort war auch das Pharmazeutische Zentrum des Kreises integriert“, erklärt er.

Damit war die Löwen-Apotheke gewissermaßen die Hauptapotheke der elf Kreisapotheken. „Im Pharmazeutischen Zentrum waren drei Querschnittsabteilungen angesiedelt“, beschreibt Körner. Diese Abteilungen hießen Ökonomie, Arzneimittelanalyse und Technologie. Für letztere hatte sich Körner besonders interessiert.

Die Technologie-Abteilung war eine Defektur, in der beispielsweise Lösungen wie Hustensäfte für alle Kreisapotheken hergestellt wurden. „Als ich in Annaberg anfing, war die Abteilung noch gar nicht richtig vorhanden; ich konnte sie also mitaufbauen“, erinnert sich Körner. Eine Etage darüber, in der Analytik, wurde eine Gehaltsprüfung vorgenommen. „Nach dieser Qualitätskontrolle wurden die Rezepturen freigegeben und mit einem Barkas an die anderen Apotheken ausgeliefert“, berichtet er.

Bei der Rezepturherstellung musste häufig improvisiert werden. „Einmal wurde ich beauftragt, bei einem Bäcker eine Brotknetmaschine für die Apotheke zu kaufen“, sagt Körner. Statt Brotteig habe er darin bis zu 15 Kilo Salbe auf einmal angerührt. „Wenn Rezepturaufträge kamen, habe ich immer vorher überlegen müssen, wie ich die technisch überhaupt bearbeiten kann“, erzählt er.

Rezepturen wurden laut Körner in der DDR in großem Umfang hergestellt. Die Herstellung habe einen ganzen Tag in Anspruch genommen; teilweise arbeiteten zwei Mitarbeiter zeitgleich daran, alle Aufträge abzuarbeiten. Weil so viel zu tun war, ließen die zuständigen Apothekenangestellten sämtliche Behälter mit den Grundlagenstoffe durchgängig geöffnet; in jedem steckte ein Spatel. „Zuerst war ich entsetzt, weil die Arbeitsrealität so weit von den hygienischen Ansprüchen entfernt war, die uns im Studium beigebracht wurden“, sagt er. Doch ihm wurde schnell klar, dass sich die anfallende Arbeit sich nur auf diese Weise stemmen ließ.

Bereits am 1. Oktober 1990 machte sich Körner mit der leerstehenden Adler-Apotheke in Annaberg selbstständig. Die Apotheke hätte er zu DDR-Zeiten nicht so ohne Weiteres kaufen können: „Um eine Apotheke zu führen, genügte die Approbation an sich nicht. Der Apotheker musste außerdem eine vierjährige Weiterbildung zum Fachapotheker machen, am besten in Offizinpharmazie“, erklärt Körner. Darin sieht er durchaus einen Vorteil: Während der langen Ausbildungszeit bis zur eigenen Apotheke hätten sich Apothekenleiter die nötigen sozialen Kompetenzen aneignen und Reife für die Führungsposition gewinnen können.

Mit dem Mauerfall änderte sich in den ostdeutschen Apotheken einiges: „Das DDR-Ordnungssystem funktionierte ganz anders. In unserem Generalalphabet waren die Medikamente etwa nach inneren und äußeren Flüssigkeiten, Tabletten und Zäpfchen sortiert“, erzählt Körner. Relativ früh habe er in seiner eigenen Apotheke zudem ein modernes EDV-System eingeführt.

Doch die größte Veränderung war wohl die erhöhte Lieferfähigkeit: „Zu DDR-Zeiten ist nur alle 14 Tage ein LKW mit Medikamenten gekommen; der wurde dann mit einer Menschenkette entladen“, sagt Körner. Die anschließende Eingangsprüfung und Einlagerung der Waren habe mehrere Tage beansprucht. Jede Bestellung sei entsprechend akribisch geplant worden.

Lieferengpässe waren in der DDR an der Tagesordnung: Besonders betroffen waren laut Körner Arzneimittel aus der sogenannten C-Nomenklatur, die in erster Linie Betäubungsmittel umfasste: „Diese Mittel wurden aus den 'nicht-sozialistischen Ländern' bestellt; aus der BRD, England und Frankreich zum Beispiel. Das ging zwar irgendwie, aber es kam immer wieder zu fürchterlichen Engpässen“, berichtet er.

Um die Lieferengpässe abzumildern, arbeitete im Pharmazeutischen Zentrum eine Versorgungsapothekerin. Ihre Aufgabe war es, knappe Medikamente rationiert auf alle Kreisapotheken zu verteilen. „So hatte sie den Überblick und konnte am besten bis zur nächsten Lieferung mit dem Vorrat haushalten“, erklärt Körner. Allerdings sei das nicht immer einfach gewesen: „Ich erinnere mich zum Beispiel an den Fall eines stark asthmatischen Kindes, das auf Cromoglicin-haltiges Spray angewiesen war. Der Wirkstoff war häufig knapp. Das war schlimm“, sagt er.

Doch mit dem Mauerfall endeten diese Schwierigkeiten. Danach wurden die Ost-Apotheken drei- bis fünfmal pro Tag beliefert. „Das war ein großer qualitativer Sprung für die Medikamentenversorgung, der das Elend der Mangelwirtschaft beendete“, so Körner. Die pharmazeutische Ausbildung habe unter den Einschränkungen allerdings nicht gelitten, betont er: „Das Studium war hervorragend. Die pharmazeutischen Wissenschaften wurden auch zu DDR-Zeiten hochgehalten.“

Archivbeitrag vom 04.10. 2015

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