Unseriös, rechtsmissbräuchlich, versuchter Betrug – in ihrer Beurteilung der aktuellen Abmahnwelle eines Apothekers gegen offenbar tausende Kollegen sind sich die Fachjuristen weitgehend einig. Den betroffenen Apothekern wird geraten, die geforderte Unterlassungserklärung nicht abzugeben, geschweige denn den vorgeschlagenen Vergleich zu akzeptieren.
Apotheker Hartmut Rudolf Wagner, Inhaber der Brücken-Apotheke in Schwäbisch Hall, hat von der Leipziger Kanzlei „Richtig. Recht.“ bundesweit Abmahnungen an zahlreiche Apotheken verschicken lassen. Angegriffen werden häufig vermeintliche Fehler im Impressum sowie ein angeblich möglicher Versand von Thalidomid- oder Lenalidomid-haltigen Arzneimitteln.
Anwälte und Apothekerverbände sehen mehrere Anhaltspunkte dafür, dass schon die Abmahnungen rechtswidrig sind: Die Höhe des Streitwertes und der Abmahnkosten in Verbindung mit der Anzahl der Abmahnungen sprächen dafür.
Hinzu kämen möglicherweise falsche Behauptungen in dem Anwaltsschreiben: Zwar sind Thalidomid- oder Lenalidomid-haltige Arzneimittel tatsächlich vom Versand ausgeschlossen, können bei den angegriffenen Plattformen aber auch nur in einer Apotheke vorbestellt werden. Wenn hier ein Gesetzesverstoß suggeriert werde und von Seiten der Kanzlei Abmahngebühren verlangt würden, sei dies womöglich sogar betrugsrechtlich relevant, heißt es bei einem Apothekerverband.
Zumal die abgemahnten Apotheken in den Schreiben aus Leipzig ziemlich unter Druck gesetzt würden: Neben kurzen Fristen für die Abgabe einer Unterlassungserklärung und Zahlung der Abmahngebühren droht die Brücken-Apotheke damit, die Aufsichtsbehörde und Apothekerkammer einzuschalten. „Berufs- und standesrechtliche Konsequenzen sowie ein Verlust Ihrer Zulassung sind dadurch nicht auszuschließen“, heißt es in Abmahnungen.
Denen liegt zudem ein Vergleichsangebot bei. Gegen Zahlung eines bestimmten Betrages innerhalb von fünf Tagen will die Brücken-Apotheke von ihren vermeintlichen Ansprüchen zurücktreten. Anwälte raten dazu, diesen Vergleich nicht anzunehmen.
Doch den Angreifern droht nun offenbar selbst Ärger. Die Apotheke hat ihre Telefonnummer an die Leipziger Kanzlei weitergeleitet, was das zuständige Regierungspräsidium Stuttgart laut Juristen als Verstoß gegen die Dienstbereitschaft werten könnte. Informiert wurde die Aufsichtsbehörde in der Sache jedenfalls schon. Und gegen den Rechtsanwalt Christoph Becker wurde dem Vernehmen nach sogar bereits Strafanzeige gestellt.
Aus Sicht des Münchener Fachanwalts für Medizinrecht, Dr. Andreas Zach, ist die Aktion eindeutig rechtsmissbräuchlich: „Die Abmahnungen erscheinen von langer Hand geplant. In einigen Fällen wurde die Vollmacht bereits im August ausgestellt. Auch an den Screenshots, die die vermeintlichen Verstöße belegen sollen, kann man erkennen, dass an der Aktion lange gearbeitet wurde. Das ist eindeutig ein Geschäftsmodell.“
Damit ist Zach zufolge auch die Höhe der geforderten Abmahngebühr – zum Teil rund 2700 Euro – rechtsmissbräuchlich. Denn bei Massenabmahnungen dieser Art gehe der Gegenstandswert der einzelnen Abmahnung deutlich nach unten. Zach rät Betroffenen, unbedingt anwaltlichen Beistand in Anspruch zu nehmen und keinesfalls ungeprüft eine Unterlassungserklärung abzugeben oder den Vergleich anzunehmen.
Da vor allem Apotheken abgemahnt wurden, die über einen Webshop gelistet sind, gibt es Zach zufolge noch eine Baustelle: „Wenn die Anbieter Inhalte einpflegen, die der Apotheker gar nicht bereitgestellt hat, muss auch die Frage der Haftung geklärt werden.“ Dies betrifft zum Beispiel den unzulässigen Verkauf von Magnetarmbändern. Diese sind in den Webshops zu finden, weil die Daten ungefiltert aus der ABDA-Datenbank einfließen.
Fraglich ist bei einigen der angeprangerten Verstößen, ob die Apotheker überhaupt belangt werden können. Abgemahnt wurden auch Apotheken ohne Webshop, auf deren Homepage im Impressum nicht Name und Geltungsbereich der Berufshaftpflichtversicherung angegeben waren. Allerdings ist laut Rechtsanwalt Alexander Beyer von der Kanzlei Nienhaus schon zweifelhaft, ob Apotheken gesetzlich überhaupt zur Angabe der Berufshaftpflichtversicherung verpflichtet sind.
Auch die Forderung der Gewinnherausgabe sei völlig absurd, so Beyer. Denn dazu müsse die Brücken-Apotheke nachweisen, welchen konkreten Gewinn der jeweils Abgemahnte allein durch das Fehlen der Angabe der Berufshaftpflichtversicherung gemacht hat. „Dies wird selbstverständlich unmöglich sein“, so Beyer.
Die Abmahnung wirke insgesamt sehr unseriös, insbesondere würden falsche Paragraphen zitiert. „Offensichtlich werden Apotheker hier über die Rechtslage getäuscht und damit zusätzlich unter Druck gesetzt. Derartige Abmahnungen waren mir bislang nur von dubiosen Kleinunternehmen, aber nicht von Apothekern bekannt“, so Beyer.
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