Lunapharm-Prozess: 100 Seiten Anklage Laura Schulz, 11.10.2023 11:50 Uhr
Vor fünf Jahren sorgte der Skandal um den Brandenburger Pharmahändler Lunapharm für jede Menge Wirbel, heute begann der Prozess vor dem Landgericht Potsdam gegen Firmenchefin Susanne Krautz-Zeitel sowie gegen einen mutmaßlichen Mittäter wegen illegalen Handels mit Krebsmedikamenten.
Die Staatsanwaltschaft verlas die mehr als 100 Seiten lange Anklage, ein Zeichen für die Komplexität des Falles. Laut einer Gerichtssprecherin war dies auch ein Grund dafür, warum so viele Jahre bis zum Prozessbeginn vergingen. Ein Bericht des ARD-Magazins „Kontraste“ hatte den Skandal Mitte 2018 öffentlich gemacht.
Krautz-Zeitel soll zwischen 2015 und Juni 2018 im Parallelhandel verschiedene Krebsmedikamente über eine Apotheke in Griechenland bezogen und dann vom brandenburgischen Blankenfelde-Mahlow aus weitervertrieben haben. Obwohl ihr diese Geschäfte im Mai 2017 aufgrund der fehlenden Großhandelserlaubnis der griechischen Apotheke vom zuständigen Gesundheitsamt verboten wurden, habe es bis Juli 2018 weitere Lieferungen gegeben, unter anderem dokumentiert über Rechnungen eines Großhändlers aus Zypern namens Gnomon. Dessen Vertreter wird noch als Zeuge im Verlauf des Verfahrens erwartet. Krautz-Zeitel hatte seinerzeit angegeben, seit Anfang 2017 keine Geschäftsbeziehungen mehr zur Athener Apotheke zu haben.
Laut den 23 Lieferscheinen, die dem Gericht vorliegen, brachte der Handel Lunapharm bis Mitte 2018 Einnahmen von 1,136 Millionen Euro. Vor Gericht stehen die Angeklagten wegen der falschen Angaben über die Vertriebswege, wodurch die Arzneimittel als gefälscht gelten. Die Anklage lautet daher auch auf Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz (AMG).
Unter den gehandelten Arzneimitteln waren Präparate wie Herceptin, Mabthera, Neulasta, Tracleer, Velcade und Xgeva. Und auch wenn die Mittel auf den Rechnungen aus 2017 und 2018 auftauchten, befanden sich einzelne der aufgeführten Packungen laut Staatsanwaltschaft bereits 2016 in den Lunapharm-Lagern.
Zu den Vorgängen wollte sich Krautz-Zeitel noch nicht äußern, die viele Minuten umfassende Anklageverlesung nahm sie ruhig hin. Man bereite eine umfassende schriftliche Stellungnahme vor, gab ihr Verteidiger an. Beim nächsten Termin am 20. Oktober soll alles ausführlich dargelegt werden.
Auch der mitangeklagte „Wald und Wiesen“-Anwalt, der in einigen Fällen zumindest mit seiner Unterschrift beim vermeintlich illegalen Handel unterstützt haben soll, wollte sich nicht zur Anklage selbst äußern. Er war zu jener Zeit Anwalt des griechischen Apothekers Dr. Mohamed Deyab Hussein, beide bringen die Großhandelsfirma Rheingold ins Spiel, über die Lunapharms Beschaffungswege ebenfalls verschleiert wurden und auf deren Erlöse Hussein vollen Zugriff hatte.
Die Anwälte von Krautz-Zeitel selbst betonen, dass es in dem Verfahren nicht darum geht, ob schädliche oder unwirksame Mittel an Patient:innen abgegeben wurden. „Alle Medikamente waren stets beanstandungsfrei. Sie entsprachen allen Vorschriften und die Spezifikationen stimmten. Irgendeine Täuschung oder gar Gefährdung von Patienten lag nie vor und wird der Geschäftsführerin auch nicht vorgeworfen“, heißt es in einer offiziellen Erklärung, die von der Anwältin im Anschluss an den Eröffnungstermin verteilt wurde.
Der vermeintliche „Hintermann“ der damaligen Geschäfte und dritte Angeklagte in dem Fall war heute nicht anwesend. Bei dem inzwischen 75-Jährigen wurde Verhandlungsunfähigkeit festgestellt. Der Deutsch-Ägypter Hussein soll Lunapharm trotz fehlender Großhandelserlaubnis die Medikamente geliefert haben. Der Prozess gegen Hussein wurde aufgrund der Umstände vom nun laufenden Verfahren abgetrennt.
Im Raum stehen mögliche Haftstrafen von einem bis zu zehn Jahren für das Inverkehrbringen und gewerbsmäßige Handeln mit gefälschten Arzneimitteln. Geklärt werden soll der Fall in insgesamt 20 Verhandlungstagen, die sich bis in den März 2024 ziehen. Weitere Verstrickungen, unter anderem zwischen der früheren Lunapharm Limited und der noch immer bestehenden Lunapharm Deutschland GmbH sowie eine sechsstellige Überweisungen auf das Privatkonto von Krautz-Zeitel lassen den Fall nur noch undurchsichtiger erscheinen.