Der Prozess im Fall der getöteten Maria Baumer neigt sich dem Ende zu. Die Staatsanwaltschaft wirft ihrem früheren Verlobten vor, sie im Mai 2012 mit Lorazepam ermordet und ihre Leiche in einem Waldstück vergraben zu haben. Nun hat der Krankenpfleger vor dem Landgericht Regensburg ein Teilgeständnis abgelegt: Er habe den Leichnam tatsächlich vergraben – sie aber nicht getötet.
Es ist ein Fall wie aus einem Kriminalroman: Krankenpfleger Christian F. soll sich in eine Patientin verliebt haben und wollte sich mit ihr ein Leben aufbauen. Doch er war bereits verlobt. Also entschloss er sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft, seine Verlobte zu beseitigen. Aus dem Bezirkskrankenhaus Regensburg, wo er arbeitet, klaut er Lorazepam, bringt sie damit um und vergräbt ihre Leiche im Wald. Daraufhin meldet er seine Verlobte als vermisst. Er gibt gegenüber der Polizei an, dass er sie am Samstagmorgen des 26. Mai 2012 in ihrer gemeinsamen Wohnung das letzte Mal gesehen habe.
Der Fall erhält damals schon Öffentlichkeit – und zwar durch Christian F. selbst. Gemeinsam mit der Zwillingsschwester der Ermordeten tritt er Ende Oktober 2012 in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ auf, zeigt sich als trauernder Verlobter und präsentiert im Fernsehen sogar ihr Handy und den Verlobungsring, den sie nicht mitgenommen habe, als sie das Haus verließ. Tausende Hinweise gehen daraufhin ein, unter anderem wollen zwei Frauen sie im Ruhrgebiet gesehen haben. Sie wolle auf den Jakobsweg gehen, habe sie ihnen gesagt. Also lässt die Polizei von Köln bis Santiago de Compostela Plakate aufhängen, um sie zu finden.
Doch knapp ein Jahr später zerbrechen die Hoffnungen: Im September 2013 finden Pilzsammler in einem Waldstück bei Regensburg die Leiche von Maria Baumer. Vier Tage später wird Christian F. festgenommen, zwei Monate sitzt er in Untersuchungshaft und schweigt. Per Haftbeschwerde holt sein Anwalt ihn raus. Es gibt nicht genug Indizien gegen ihn. Sein Verteidiger betont außerdem, dass er kein Motiv gehabt habe – die Beziehung sei glücklich gewesen, immerhin standen beide kurz vor der Hochzeit, berichtet der Bayerische Rundfunk.
Doch F. gerät erneut ins Fadenkreuz der Justiz. Im April 2016 wird er wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Verbreitung, Erwerb und Besitzes von kinderpornographischem Material angeklagt. Er hatte sich an zwei Schülern des Domspatzen-Gymnasiums vergangen. Doch nicht nur das: Es wird auch ein Fall verhandelt, der zu dem Zeitpunkt bereits zwei Jahre zurückliegt. Im Frühjahr 2014 stieg F. nämlich einer Patientin aus der Klinik nach. Der Süddeutschen Zeitung zufolge bombardierte er sie mit SMS und Chatnachrichten. 535 Mal habe er ihr geschrieben, nur 33 Mal antwortete sie. Im April 2014 ist sie gerade mit dem Bus unterwegs, als Christian F. zusteigt.
Sie habe sich ihm ausgeliefert gefühlt, sagte sie später im Prozess. Also ließ sie zu, dass er mit zu ihr kommt, kochte zu Hause Tee. Als sie kurz den Raum verließ, schüttete er ihr Lorazepam in die Tasse. Die Frau schlief daraufhin ein, F. verbrachte die Nacht im Bett neben ihr. Was genau in der Nacht geschah, konnte nicht nachgewiesen werden. Zwar fand man an ihrer Unterwäsche DNA-Spuren von F., es konnte jedoch nicht zweifelsfrei belegt werden, wie die dahin kamen. Also wird F. in dem Fall nur wegen Körperverletzung verurteilt. Zusammen mit dem Missbrauch und dem kinderpornographischen Material erhält er deshalb im Dezember 2016 zwei Jahre auf Bewährung.
Wieder zwei Jahre später, im Dezember 2018 scheinen die Ermittlungen im Fall Maria Baumer dann vorläufig gescheitert: Die Staatsanwaltschaft stellt sie ein, ohne den Tatverdacht gegen Christian F. beweisen zu können. Doch es ist der technische Fortschritt, der das Blatt wendet. Eine neue Analysemethode ermöglicht nämlich genauere Ergebnisse: In den Haaren und an der Kleidung von Maria Baumer werden Rückstände von Lorazepam gefunden. Ein knappes Jahr nach Einstellung der Ermittlungen, im Dezember 2019, wird Christian F. erneut verhaftet. Diesmal reichen die Indizien: Nicht nur die Vorgehensweise mit Lorazepam spricht gegen ihn. Ihm kann nachgewiesen werden, dass er nur Tage vor der Tat im Internet nach Suchbegriffen wie „Lorazepam letale Dosis“ und „perfekter Mord“ gesucht hatte.
Außerdem wurde in der Nähe von Baumers Leiche ein Spaten gefunden. Kontoauszüge belegen, dass F. wenige Tage vor Baumers Tod ebenjenes Modell in einem Baumarkt gekauft hatte. Für die Staatsanwaltschaft ist der Fall damit klar: Baumer stand der gewünschten neuen Beziehung im Weg und musste deshalb sterben. Er habe sie nicht nur heimtückisch, sondern auch aus niederen Beweggründen ermordet. F. selbst schwieg bisher zu den Vorwürfen, seinem Anwalt zufolge reichen die Indizien nicht aus, ihn zu verurteilen. Außerdem beteuere er weiterhin seine Unschuld.
Am Dienstag folgte dann die überraschende Wende im Prozess: Über seinen Anwalt ließ er vor Gericht mitteilen, dass er zugebe, die Leiche vergraben zu haben. Allerdings habe er seine Verlobte nicht ermordet, sondern sie an jenem Morgen tot im Bett aufgefunden, neben ihr hätten Tabletten gelegen. Sie habe am Vorabend das Lorazepam genommen, das er zuvor aus dem Krankenhaus geklaut hatte. Deshalb habe er Ermittlungen und negative berufliche Konsequenzen befürchtet und sich nicht anders zu helfen gewusst, als die Leiche verschwinden zu lassen und seine Verlobte vermisst zu melden. Es habe sich um eine Kurzschlussreaktion gehandelt, die er bereue und für die er sich bei den Angehörigen entschuldige. „Lorazepam letale Dosis“ habe er gegoogelt, weil auf der Arbeit zuvor über Suizide von Patienten gesprochen worden sei, und „perfekter Mord“ ließe sich aus seinem allgemeinen Interesse für Krimis und das Anschauen einer ZDF-Dokumentation erklären. Das Teilgeständnis sei durch Einwirken seiner Verteidiger zustande gekommen – ein weiteres Schweigen hätte demnach zwangsläufig zu einer Verurteilung geführt.
Die Staatsanwaltschaft quittierte die Einlassung mit Empörung. Es handele sich um eine „Märchenstunde“ und sei den Angehörigen gegenüber „bedauerlich und grenzenlos pietätlos“, dass er versuche, seiner Verlobten den Tod selbst in die Schuhe zu schieben. Der Verteidiger hingegen sieht die Einlassung positiv. Am Rande des Prozesses erklärte er, das Verhalten seines Mandanten sei „natürlich moralisch sehr verwerflich, aber strafrechtlich nicht anzugreifen“. Durch die Einlassung seien nun „die Weichen auf Freispruch gestellt“.
APOTHEKE ADHOC Debatte