Lieferengpässe: Krebspatienten und Säuglinge leiden Julia Germersdorf, 25.01.2023 14:40 Uhr
Die Bundestagsabgeordnete Bettina Lugk (SPD) hat der Plettenberger Apotheke am Nocken einen Besuch abgestattet. Inhaber Jörg Lehmann, Apotheker und Vorsitzender der Bezirksgruppe Märkischer Kreis Süd, informierte sie über das aktuelle Problem der Lieferengpässe – und die zahlreichen anderen Probleme der Vor-Ort-Apotheken.
Während ein junger Krebspatient aufgrund von Lieferschwierigkeiten etwa drei Monate auf sein Mittel gegen Erbrechen wartete, können für einen Säugling wichtige Augentropfen nicht hergestellt werden, da die Primärpackung nicht zu bekommen ist. Anhand dieser beiden Beispiele, veranschaulicht Filialleiterin Kathrin Klewer-Scherer der SPD-Bundestagsabgeordneten, wie dramatisch die Lieferengpässe bei Arzneimitteln mittlerweile sind.
Inhaber Jörg Lehmann macht deutlich, dass die Lage nicht nur schwierig ist, weil Arzneimittel fehlen, sondern auch, weil den Apotheken schnelle Lösungswege nach wie vor verbaut sind. Arzneimittel selbst herstellen oder auf eine andere Darreichungsform ausweichen, beispielsweise Zäpfchen anstelle von Saft, sei nicht ohne weiteres möglich. Gleiches gelte für die Anpassung der Dosierung – trotz ihrer pharmazeutischen Kompetenz. Auch der Import von Arzneimitteln sei mit zu hohen bürokratischen Hürden verbunden.
Dennoch setzten die Apotheken alles daran, immer wieder Lösungen zu finden, um ihre Patienten zu versorgen. Zumindest die Apotheken, die es noch gebe. „Es dauert nicht mehr lange, dann haben wir keine flächendeckende Versorgung mehr“, warnt Lehmann die SPD-Politikerin vor weiteren Schließungen. Gerade auf dem Land, wo der Weg bis zum nächsten Kinderarzt weit sei, bräuchten Eltern in Wohnortnähe die Unterstützung der Apotheken. Nachdem aber die Apothekenvergütung durch die Politik seit nunmehr zehn Jahren nicht mehr angehoben worden sei, werde die wirtschaftliche Lage für viele Apotheken schwierig. Denn die Apotheken könnten explodierende Kosten aus gutem Grund nicht wie andere Branchen an die Kunden weitergeben. Obendrein kürze die Bundesregierung nun zum Februar sogar die Apothekenvergütung, um die Finanzierungslücke der gesetzlichen Krankenkassen zu decken, kritisiert Lehmann.
Stundenlohn von 7,03 Euro
Er rechnet der Abgeordneten vor, wie viel Zeit es sein Team zum Beispiel gekostet hat, einen Patienten zu versorgen, der wenige Tage zuvor ein Rezept für ein Antibiotikum einlösen wollte. Das Mittel war nicht lieferbar. Also rief die Apotheke in der Arztpraxis an, um eine Alternative abzustimmen. Man hing 15 Minuten in der Warteschleife, schickte dann einen Mitarbeiter in die Praxis, um ein neues Rezept abzuholen und orderte das Präparat schließlich beim Großhandel. Der Patienten wurde über das Alternativpräparat informiert und man stellte es ihm per Boten zu. Fast eine ganze Stunde hat die Apotheke für die Bearbeitung dieses Engpasses aufgewendet. Sie bekommt über das reguläre Honorar hinaus für diesen zusätzlichen Aufwand bislang keinen Cent von den Krankenkassen. Die Vergütung beläuft sich in diesem Fall auf 7,03 Euro. Ab Februar sind es nur noch 6,80 Euro. Vom Ertrag muss Lehmann seine Mitarbeiter bezahlen und sämtliche Betriebskosten decken. 50 Cent will der Bundesgesundheitsminister den Apotheken künftig in solch einem Engpass-Fall mehr bezahlen. „Auch das ist nicht ansatzweise kostendeckend“, kritisiert Lehmann.
Dieses Beispiel nimmt Bettina Lugk mit nach Berlin. Ebenso will sie dort das Problem der Arzneimittel-Importe ansprechen. Lugk, die die SPD im Auswärtigen Ausschuss und im Sportausschuss vertritt, ist selbst keine Expertin für Gesundheitspolitik. Doch sie hört an diesem Morgen zu, um die Probleme zu verstehen und in Berlin zu vermitteln und damit auch die Interessen ihres Wahlkreises in der NRW-Landesgruppe, der Fraktion und dem Parlament zu vertreten. „Besuche und Gespräche vor Ort sind mir besonders wichtig. Jörg Lehmann und sein Team haben mit konkreten und anschaulichen Beispielen die aktuellen Problemlagen der Sauerländer Apotheken verdeutlicht und damit sehr hilfreiche Unterlagen für die anstehenden Debatten und Gesetzesvorhaben geliefert“, so Bettina Lugk.