Feldapotheke statt Offizin

Leitfaden für „Katastrophenpharmazie“

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Berlin -

Noch nie etwas von Albendazol gehört? Das liegt vermutlich daran, dass in der Feldapotheke andere Wirkstoffe geläufig sind als im Alltag: Pharmazeutin Dr. Carina Vetye hat einen Leitfaden geschrieben, der die Arbeit der Apotheker, PTA, Krankenschwestern und Ärzte im Katastrophenschutz erleichtern soll.

In der der internationalen Katastrophenhilfe werden knapp 70 verschiedene Arzneimittel verschrieben und abgegeben, darunter das Anthelminthikum Albendazol, frei zusammengesetzte Mischinsuline und Methyldopa. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ein spezielles Medikamentenpaket zusammengestellt, das sogenannte „Interagency Emergency Health Kit“ (IEHK), das internationale Hilfsorganisationen im Gepäck haben, wenn sie in den Noteinsatz gehen. Viele der darin enthaltenen Wirkstoffe werden in westlichen Ländern jedoch selten eingesetzt und sind somit den Gesundheitsteams nur wenig geläufig. „Eine solche Feldapotheke ist schon ein großer Unterschied zu einer deutschen Apotheke, wie wir sie gewohnt sind“, erklärt die Autorin. Häufig habe Vetye Kollegen beim wilden Blättern in Büchern beobachtet, oft mit widersprüchlchen oder gar keinen Ergebnissen. „Das heißt, man sucht ewig und findet nicht, was man braucht. Und die Patienten müssen warten, obwohl sie dringend schnelle Hilfe benötigen.“

Deshalb hat Vetye den Leitfaden für das IEHK geschrieben: Das Handbuch enthält eine umfangreiche Liste der häufigsten Indikationen, Diagnosen und Krankheiten im Katastrophenfall und die dazu passenden Arzneimittel und Dosierungen. Erst kürzlich wurde das IEHK wieder von der WHO überarbeitet: Etliche Arzneimittel wurden ausgetauscht und hinzugefügt. Auf nur einer Seite befinden sich übersichtlich zusammengefasst alle Angaben zu Darreichungsform, Stärke, Therapie und Dauer, klare Dosierungsangaben für Säuglinge, Kinder und Erwachsene, sowie Senioren. Außerdem enthält der Leitfaden Behandlungsmöglichkeiten für Schwangere und Stillende, die Art der Einnahme, Gegenanzeigen, Wechselwirkungen, Nebenwirkungen, Maßnahmen bei Überdosierung, Lagerungshinweise und nützliche Tipps für Katastrophensituationen.

Neben der ausführlichen Übersicht, ist die Menge jedes Medikaments vermerkt und wo es im IEHK zu finden ist: Dies verschafft dem medizinischen und pharmazeutischen Personal vor Ort einen entscheidenden Vorteil. Die Arzneimittel sind in 26-30 Kisten verpackt und müssen unter Umständen unter Zeitdruck herausgesucht werden. „Man hat schon genügend Stress in dieser Situation durch die große Anzahl der Patienten, die versorgt werden müssen und durch die fremde Sprache; deshalb muss man in Sekundenschnelle finden können, welches Medikament für eine bestimmte Indikation vorhanden ist und wie es eingesetzt wird,“ erklärt Vetye.

Die Autorin ist selbst Apothekerin und schult seit Jahren Gesundheitsteams für den Katastropheneinsatz. Sie selbst leitet eine Apotheke im Slum von Buenos Aires in Argentinien. Für ihren Einsatz wurde sie 2018 mit dem mit 100.000 Euro dotierten „Else Kröner-Fresenius Preis für medizinisch-pharmazeutische Entwicklungszusammenarbeit“ ausgezeichnet. Das „Manual für das Interagency Emergency Health Kit“ kostet 32,50 Euro und ist am 20. Juli im ThinkTank Verlag erschienen.

Insgesamt habe die Erstellung des Handbuchs fünf Jahre gedauert, erklärt Vetye, die den Leitfaden in der Freizeit schrieb. Schnell wurde ihr klar, warum eine solche Hilfestellung bisher nicht existierte: „Es ist zeitaufwändig, man muss sehr akribisch sein und eigentlich kann es niemand wirklich gerecht bezahlen. Es ist eine Knochenarbeit.“ Die nötigen Informationen habe sich die Pharmazeutin mit der WHO-Literatur, den Büchern der Ärzte ohne Grenzen und den internationalen Fachinformationen geholt.

Vetye hält das IEHK für eine „gute Basisselektion“: „Ausbauen kann man immer. Ein weiteres Antibiotikum und ein Antihistaminikum wären hilfreich.“ Wenn man jedoch den Einsatz der zur Verfügung stehenden Arzneimittel beherrsche, könne man auch mit dieser spartanischen Ausrüstung sehr gute Arbeit leisten, erklärt sie. Der Leitfaden wurde schon von den Einsatzkräften getestet: „Die Durchlaufgeschwindigkeit der Patienten hat sich enorm gesteigert und sie fühlen sich sicherer im Umgang mit diesen Wirkstoffen.“ Die Papierform des Manuals sei bewusst der digitalen Form vorgezogen worden: „Man hat nicht immer ausreichend Strom für eine Version auf dem Tablet zur Verfügung.“ Außerdem seien Feuchtigkeit, Staub und hohe Temperaturen schlecht für Handys, Laptops und Tablets.

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