„Legitim, sich vor Digitalisierung zu gruseln” APOTHEKE ADHOC, 22.03.2018 08:44 Uhr
Der Internet-Experte und Blogger Sascha Lobo kündigte es schon an: Bei seinem dritten Gastspiel bei VISION.A werde er den Apothekern einiges zumuten. Die Gesundheitsbranche könne den digitalen Umwälzungen nur begegnen, wenn sie eigene Antworten finde.
Eine neue digitale Zeitrechnung habe begonnen, die „digitale Körperlichkeit“, sagte Lobo. „Die Vernetzung rückt uns immer näher.“ Sie gehe mit iWatches und anderen ähnlichen Uhren dicht an die Haut und werde damit auch körperlich erfahrbar. „Die Dinge verändern sich schnell, noch bevor wir sie verstehen können.“
Die Gesundheitsbranche stehe vor weiteren bahnbrechenden Umwälzungen: Wenn ein Computerforscher und Autor wie Ray Kurzweil prophezeie, dass sich schon in zwölf Jahren Nanosonden im Gehirn automatisch mit dem Internet verbinden könnten, sei das auch für ihn keine angenehme Vorstellung. „Es ist absolut legitim, sich vor der Digitalisierung zu gruseln. Die zunehmende Digitalisierung in der Gesundheit kann Angst machen, wenn mangelndes oder vermeintliches Wissen auf Veränderung trifft.“
Zunehmend werde Gesundheit zum Lifestyle-Produkt, Softwareprogramme ersetzten Arztdiagnosen, Apps mitunter gar Medikamente, zählte Lobo auf. So bietet Apple seit Januar 2017 eine App zur Kontrolle des Blutzuckers. Eine schon auf zwölf Metern Entfernung mögliche Irisuntersuchung lasse Rückschlüsse auf eine mögliche Herzerkrankung zu, der Klang der Stimme auf potenzielle Depressionen. Facebook habe einen Algorithmus entwickelt, der anhand von Posts und sonstigem Verhalten Anzeichen für Suizidgedanken erkennt. Sogar Mercedes denke daran, Vitaldaten aus dem Lenkerkontakt und der Atemluft zu generieren. Gerade Facebook und Google häufen die Daten ihrer Nutzer an und blenden auf sie zugeschnittene Werbung ein.
Die Digitalisierung führe zu einer zunehmenden Individualisierung. Auf die Apotheken als Kontaktpunkte kämen damit besondere Herausforderungen zu. „Es führt für die Apotheker kein Weg daran vorbei, sich eigene, digitale Plattform aufzubauen“, sagt Lobo. So entstünden dringend benötigte digitale Kundenkontakte. „Sonst endet man früher oder später als Zulieferer.“ Die neue Plattform könnte neuste oder schon vorhandene Entwicklungen nutzen, um die Kunden mit neuen Dienstleistungen in die Apotheke zu locken.
So nannte der Experte den 3D-Druck, um zum Beispiel passgenaue Schulterschienen herzustellen. Im Rahmen einer dezentralen Diagnostik könnten Blutabnahme oder eine Irisuntersuchung angeboten werden. Mit einer Untersuchung der Genome könnten auf den Patienten passgenau zugeschnittene Medikamente zur Verfügung gestellt werden. Seine in iWatches oder anderen digitalen Sensorgeräten gesammelten Gesundheitsdaten könnte der Patient schon bald dem Apotheker oder dem Arzt zur Deutung zur Verfügung stellen. Voraussetzung dafür sei es aber, dass dafür ein sicheres System aufgebaut werde.
Die Apotheke vor Ort könne es auch in 20 Jahren noch geben, meinte Lobo. „Das hängt aber im Wesentlichen davon ab, dass der Apotheker die eigenen Stärken verinnerlicht hat und ob er sich traut, kopfüber und offensiv in die digitale Welt zu springen, auch wenn er dann und wann eins in die Fresse bekommt.“