Im Krankenhaus geht es oft zu wie am Fließband. Die Zahl der behandelten Patienten stieg zuletzt auf 19 Millionen im Jahr. Gespräche mit dem Patienten bleiben auf der Strecke. Das ist nicht ohne Risiken. Lange hat der Deutsche Ethikrat, der die Politik berät, über das Problem nachgedacht. Nun hat er eine Analyse und Empfehlungen vorgelegt. Das sind die Kernfragen und -antworten.
Wie sieht der Ethikrat die Entwicklung grundsätzlich?
Die stationäre Versorgung bleibt dem Gremium zufolge zunehmend hinter dem Prinzip einer guten Behandlung zurück. Effizienz und Effektivität gehen demnach in aller Regel vor – Sorge für den Patienten und Respekt vor seiner Selbstbestimmung kommen zu kurz.
Woran liegt dieser grundsätzliche Missstand?
Vor allem an der Finanzierung der Krankenhäuser. „Weichere“ Aspekte des Patientenwohls sind dem Rat zufolge „ökonomisch nur schwer operationalisierbar“ – vereinfacht: Sie können nicht mit einem Preisschild versehen werden. Bezahlt werden die Kliniken von den Krankenkassen mit pauschalen Preisen je nach Diagnosen. Die Kassen überwiesen den Kliniken 2015 mehr als 68 Milliarden Euro. Von den Ländern bekommen sie zusätzlich noch Mittel für Gebäude und Geräte, allerdings oft weniger oder später als gebraucht.
Was bedeutet die ökonomische Ausrichtung für Ärzte und Pfleger?
Arbeitsdruck und Zeitnot bestimmen oft das Bild. „Von Ärzten ist zu hören, dass der ständige ökonomische Druck (…) Handlungen nahelegt, die ethisch problematisch sind“, sagt Ratsmitglied Thomas Heinemann. 72 Prozent der Chefärzte gaben in einer Umfrage an, nur selten oder manchmal sei genug Zeit für die Hinwendung zu den Patienten. Oft wird der Standard gemacht – komplizierte Fälle werden ungern angenommen.
Zu welchen konkreten Missständen führen Kostendruck und Bezahlsystem?
Kliniken spezialisieren sich laut Ethikrat tendenziell auf lohnende Eingriffe. Als Beispiel nennen seine Vertreter etwa Hüftprothesen oder bestimmte Herzkatheter-Untersuchungen.
Bleiben Patienten lange genug im Krankenhaus?
Die Experten meinen: oft nicht. Die Zahl der Behandlungsfälle stieg seit 2000 von 17,3 auf zuletzt 19,1 Millionen, die Verweildauer sank von 9,7 auf 7,4 Tage. Viele Klinikärzte beklagen dem Ethikrat zufolge selbst, sie seien unter ständigem Druck, Patienten zu entlassen, bevor es medizinisch ratsam sei. Wird eine zweite Krankheit behandelt, dann werden Patienten zudem oft zuerst entlassen und dann wieder aufgenommen. Grund: Die neue Behandlung ermöglicht nur dann eine weitere Überweisung an die Klinik.
Sind bestimmte Patienten besonders hohen Risiken ausgesetzt?
Ja. Alte Patienten haben häufig mehrere Krankheiten und sind oft dement. Das macht es für die Kliniken schwierig, sich für ihre Behandlung ausreichend bezahlen zu lassen und sie gut zu betreuen. Behinderte Patienten klagen oft, dass sie von Kliniken ganz abgewiesen werden. Und kranke Kinder und Jugendliche brauchen häufig mehr Pflege, Behandlungen sind aufwendiger. Weil das nicht immer ausreichend bezahlt wird, machten viele Kinderstationen zu. Die Zahl dieser Fachabteilungen sank von 440 (1991) auf 364 (2013).
Rühren alle Probleme für die Patienten vom Geld her?
Nein. Die Experten meinen, wenn in einem Krankenhaus ein kühler Umgang mit Patienten herrsche, könne das auch an einer entsprechenden Gesamtatmosphäre liegen. Doch zu wenig Kommunikation komme auch wieder durch ständige Zeitnot zustande. „Was immer mehr wegfällt, sind gemeinsame Visiten von Ärzten und Schwestern“, sagt Heinemann.
Was schlägt der Ethikrat vor?
Das Arzt-Patienten-Gespräch soll besser bei der Bezahlung berücksichtigt werden. Das könnte sogar so weit gehen, dass eine Behandlung nur bezahlt wird, wenn die Patienten ausreichend aufgeklärt wurden. Für eine bessere Pflege sollen Personalschlüssel und Mindestquoten sorgen. Die direkte Weiterbehandlung von Patienten mit mehreren Krankheiten soll getrennt bezahlt werden können. Zur Vermeidung unnötiger Eingriffe sollten den Kliniken auch reine Beobachtungen Erlöse bringen. Über die Kosten schweigt der Rat.
Wie sind erste Reaktionen aus dem Kliniksektor und der Politik?
Durchaus positiv. Der Patientenbeauftragte Karl-Josef Laumann hält etwa eine stärkere Berücksichtigung von Gesprächen mit Patienten im Bezahlsystem für richtig und findet den Vorschlag zu Pflegepersonalschlüssel „interessant“. Die Geschäftsführerin des Katholischen Krankenhausverbands Deutschlands, Bernadette Rümmelin, begrüßte die Empfehlung, „dass Krankenhäuser künftig die Behandlungen von Patienten mit mehreren Krankheiten besser abrechnen können“.
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