Beschaulich liegt die Apotheke im Wohratal, „auf der grünen Wiese“, wie Inhaber Ulrich Hansmann erzählt. Die Abgeschiedenheit bedeutet aber nicht, dass ihm die Welt um ihn herum egal wäre. Ganz im Gegenteil: Den 70-Jährigen regt eine Menge in der Gesundheitspolitik auf – und er verschafft seinem Frust auf unkonventionelle Art Luft.
Hansmanns Geschäftspartner werden in ihrem Briefverkehr wohl bald ein ungewöhnliches Detail entdecken: Einen Stempel mit einer geballten Faust, einem Daumen nach unten und dem Slogan „Keine Macht den Krankenkassen!“ Auch die Ausgaben der Apotheken Umschau, die bei ihm ausliegen, will er damit kennzeichnen. Ein Grafiker arbeitet bereits an dem Entwurf, wenn er fertig ist, lässt sich Hansmann den Stempel anfertigen. Denn die Kassen treiben ihn zur Weißglut.
Zuletzt war es das umstrittene Gutachten „Neuordnung der Apothekenstrukturen und -vergütung“ des GKV-Spitzenverbands vom Juni, das seinen Zorn erregte. „Das hätte eigentlich in den Papierkorb gehört“, so der 70-Jährige. „Die Kassen maßen sich an, über unsere Einkommenssituation zu urteilen und stellen immer neue Forderungen.“ Er will seine Kunden und Geschäftspartner mit dem Stempel auf seinen Unmut aufmerksam machen – „damit hier mal ein bisschen Unruhe reinkommt“, wie er es ausdrückt.
Eine neue Idee ist die Stempel-Aktion nicht, er habe das schon mehrmals gemacht. „Rot-Grün: Nein, danke!“ sei beispielsweise zum Einsatz gekommen, als unter Gesundheitsministerin Ulla Schmidt der Versandhandel erlaubt wurde. Auch im Schaufenster habe er damals ein Zeichen angebracht: „Rot-Grün nicht erwünscht“. Die Wirkung war jedoch nicht immer so, wie er es sich vorgestellt hat. „Da kam ein Kunde herein und dachte, ich würde keine roten Kassen- und grünen Privatrezepte mehr bedienen“, erzählt er und muss lachen.
Doch auch wenn Kunden seine Absichten nicht missverstehen, seien die Reaktionen nicht immer positiv. „In unserer Region ist der SPD-Anteil sehr hoch und die Leute fühlen sich dann oft pikiert.“ Meist gebe es aber gar keine Reaktionen. „Die Masse ist träge“, resümiert er leicht resigniert. Er erwarte aber ohnehin nicht, dass er mit seinen kleinen Protestaktionen die Welt verändert. „Ich mache mir da keine Illusionen, aber ich will wenigstens ein paar Leute zum Nachdenken bringen.“
Denn die Situation der meisten Apotheker sei vielen Leuten überhaupt nicht bewusst. „Zwei Drittel der Apotheken haben zu kämpfen, dass sie überleben“, beschreibt er die Lage. „Die Rohgewinne sinken kontinuierlich und irgendwann ist die Existenzgrenze erreicht.“ Einsatz aus der Politik kam eigentlich immer aus der FDP, seiner ehemaligen politischen Heimat. „Die FDP hat sich immer für die Apotheker eingesetzt, aber vor zwei Jahren haben sie uns bewusst einen Tritt gegeben“, zeigt er sich enttäuscht von den Liberalen. Er fühle sich jetzt benachteiligt, als Apotheker von der Politik nicht mehr beachtet.
Doch auch damals, als die FDP unter den Apothekern noch eine absolute Mehrheit der Stimmen eingefahren hätte, zeigte Ulrich Hansmann schon politische Leidenschaft. „Ich bin 68 nicht politisch aktiv gewesen, deswegen bin ich später mit solchen Ideen um die Ecke gekommen“, sagt er mit einem Funken Selbstironie. In den 90er-Jahren beispielsweise, als Horst Seehofer noch Gesundheitsminister war. Damals habe er an Sternfahrten von Apothekern nach Bonn teilgenommen, um dort gegen die Gesundheitspolitik der Regierung zu demonstrieren. „Da habe ich 500 oder 1000 Rote Karte drucken lassen und die an die dortigen Teilnehmer verteilt. Die sollten die dann an verschiedene Bundestagsabgeordnete verschicken.“
Seitdem hat sich viel getan und vor allem für Apotheker auf dem Land ist die Situation nicht einfacher geworden. Hansmann kann davon ein Lied singen, denn er betreibt seine Apotheke seit fast 37 Jahren. „Die Gemeinde Wohratal war damals die jüngste Gemeinde Hessens und durch einen Gebietszusammenschluss entstanden“, erinnert er sich. „Der Ort kann wahrlich etwas vorweisen. So habe ich damals ein Haus gekauft und die Apotheke auf der grünen Wiese errichtet. Damals war ja auch noch eine Zeit, in der Neugründungen erfolgreich waren.“ Doch wie so viele Dörfer schrumpft auch Wohratal. 1982, als er seine Apotheke eröffnete, hatte die Gemeidne 2600 Einwohner, heute sind es nur noch 2200.
„Die Entwicklung auf dem Land gibt mir schon zu denken, wenn die Leute lieber nach Frankfurt ziehen, wo sie die Mieten gar nicht bezahlen können.“ Dabei sei die Lebensqualität vor Ort sehr gut und aufgrund des vielen Gewerbes in der Region herrscht auch kein Arbeitsplatzmangel. „Vielleicht liegt es ja daran, dass die Gemeinschaft, der Zusammenhalt zwischen den Menschen schwindet. Vielleicht ziehen es die Menschen vor, in der Anonymität der Großstadt ohne soziale Kontrolle zu leben“, denkt er laut nach.
Dabei hätte es ihn selbst durchaus schlimmer erwischen können. Seine Tochter ist nämlich ebenfalls Apothekerin geworden und arbeitet seit einigen Jahren bei ihm. „Ich habe mir vorgestellt, dass irgendwann ein fließender Übergang stattfinden wird“, zeigt er sich hoffnungsvoll. „Wenn sie den Mut fasst. Aber es gibt ja auch noch die andere Option, die Apotheke zu einer Filiale machen zu lassen.“ Dass sich Probleme wie Landflucht und Fachkräftemangel in ländlichen Regionen bald erledigen, glaubt er nicht. „Aber vielleicht gibt es ja bald mal eine Trendwende.“ Dass Politiker auf dem Land etwas bewegen, glaubt er selbstverständlich nicht – erst recht nicht Horst Seehofer. „Vom Heimatminister erwarte ich nichts, außer vielleicht in Bayern.“
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