Gabriele Schackert war eine Sensation. Als erste Frau übernahm die Spezialistin für Gehirntumore einen chirurgischen Lehrstuhl im deutschsprachigen Raum. Das war 1993. 24 Jahre später ist sie immer noch eine Ausnahme. Neun von zehn Führungspositionen sind an deutschen Kliniken mit Männern besetzt. Das Paradoxe: Die meisten Absolventen des Medizinstudiums sind Frauen, seit Jahren. Was also passiert auf dem Weg vom approbierten Arzt zur Klinikleitung? Scheuen Frauen die Verantwortung? Oder sind es die Strukturen, die sie von einer Karriere im Krankenhaus abhalten?
„Die Kultur ist in der Medizin schon noch sehr konservativ“, sagt Dr. Christine Kurmeyer, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Berliner Charité. Viele Ärzte seien in einem bürgerlichen Umfeld sozialisiert, wo häufig noch ein traditionelles Familienbild herrscht. Das sei das eine. Hinzu kommen die Arbeitsbedingungen: Wer an der Klinik Karriere machen will, kämpft an mindestens zwei Fronten. 50 oder 60 Stunden auf der Station sind die Regel, sagt Kurmeyer. Daneben muss, wer eine Professur anstrebt, forschen. „Daher der Begriff Feierabendforschung.“ Zeit für die eigene Familie bleibt kaum.
So haben in einer aktuellen Umfrage des Marburger Bundes 70 Prozent der befragten Klinikärzte angegeben, dass ihr Arbeitgeber nicht genügend für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tut. Zwei Drittel beklagen, dass sie zu wenig Zeit für ihr Privatleben haben.
Was sie besonders ärgert: Es komme immer mehr Arbeit dazu, die mit Medizin kaum etwas zu tun hat. Ein Viertel der Befragten gab an, mehr als drei Stunden täglich Verwaltungsaufgaben zu erledigen. „Das muss doch nicht sein“, sagt Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes. Würden diese Tätigkeiten auf andere Arbeitnehmer übertragen, hätten die Ärzte nicht nur mehr Zeit für ihre Patienten – der Job würde auch um einiges familienfreundlicher.
„Für viele junge Ärztinnen steht die Familie nun mal an erster Stelle“, sagt Professor Dr. Gabriele Schackert, Direktorin der Klinik für Neurochirurgie am Uniklinikum Dresden. Aus ihrer Sicht zu Recht. „Ich hätte ebenfalls nicht Karriere auf Kosten meiner Kinder gemacht.“
Was die Krankenhäuser also brauchen, sind Lösungen, die beides ermöglichen: Familie und Karriere. „Auch Männer fordern Zeit mit ihren Kindern ja viel stärker ein als früher“, sagt Groß. Aus ihrer Sicht fehlen vor allem intelligente Teilzeitmodelle – und zwar auf Führungsebene. „Auch eine Oberarzt- oder Chefarztstelle kann man teilen.“ Das ist auch Kurmeyers Erfahrung.
Eine solche Lösung zu finden, kostet allerdings Grips und Zeit. „Dazu ist leider noch nicht jeder Chef bereit.“ Und nicht in jedem Fachgebiet lassen sich Teilzeitstellen auf Führungsebene so einfach etablieren, wendet Schackert ein. Wie lange eine Operation beispielsweise in ihrem Fach, der Neurochirurgie, dauert, weiß vorher niemand so genau. „Man kann nicht einfach das Skalpell fallen lassen, wenn man Dienstschluss hat.“
In der Regel müssen Ärztinnen und Ärzte also selbst sehen, wie sie ihr Familienleben und den Job unter einen Hut bekommen. Schackert und ihr Mann – ebenfalls Chirurg – hatten neben einem Vormittagskitaplatz eine Kinderfrau und eine weitere, die diese vertreten konnte. Außerdem koordinierten die Ärzte ihre Nachtdienste so, dass immer einer zu Hause war.
Auch Professor Dr. Marion Haubitz, heute Leiterin der Medizinischen Klinik III am Klinikum Fulda, hat einen organisatorischen Drahtseilakt hinter sich. „Ich war die erste Ärztin, die jemals in meiner damaligen Klinik schwanger wurde.“ Sie handelte mit ihrem Chef aus, dass sie während der Oberarztdienste mittags nach Hause gehen konnte. „In meinem Fach – der Nephrologie – ging das. Es erforderte allerdings die Bereitschaft, solche Lösungen zu finden.“
Unterstützt wurde Haubitz von der Frauenbeauftragten ihrer Klinik. Sie half der jungen Ärztin, ein Stipendium für die Habilitation zu bekommen. „Zeitweise genügte mir dann eine halbe Stelle an der Klinik und ich musste die Habilitation nicht nachts schreiben.“
Darauf, ob es eine solche Frauenbeauftragte gibt, sollten ambitionierte Frauen ihrer Ansicht nach achten, wenn sie sich für eine Klinik entscheiden. Ebenfalls wichtig: wie viele Frauen an der Klinik schon in Führungspositionen sind. „Daran kann man auch von außen erkennen, ob es die Bereitschaft gibt, Frauen zu befördern.“
Außerdem rät Haubitz, den Mut zu haben, zeitweise große Teile des eigenen Gehalts in Haushaltshilfen oder Nannys zu investieren. „Das fühlt ich erstmal komisch an, zahlt sich am Ende aber aus“, ist ihre Erfahrung. Kinder und die Arbeit – das zu stemmen ist ein riesiges Projekt. Warum sollte man sich dabei nicht helfen lassen?
Kurmeyer zufolge ist wichtig, sich schon früh klarzumachen, wo man hinwill. Am besten wenden sich Frauen gleich an die Frauenbeauftragte oder den Bereich für Personalentwicklung. „Man muss laut und deutlich sagen, dass man Verantwortung übernehmen und Karriere machen will.“
Neuralgisch sei häufig der Punkt, an dem eine Frau schwanger wird, sagt Haubitz. Dann gilt: nicht gleich ins Arbeitsverbot drängen lassen, sondern hartnäckig fragen, welche Aufgaben man übernehmen kann. Auch in Teilzeitpositionen nach der Rückkehr sei es nicht nötig, nur noch Hilfstätigkeiten auszuführen. „Es gibt auch kleinere OPs, die man machen kann“, sagt sie. „In meinem Fach können Ärzte in Teilzeit sogar beispielsweise Dialyseschichten alleinverantwortlich übernehmen.“
Statt im stillen Kämmerlein vor sich hin zu forschen, ist es außerdem unerlässlich, sich gut mit anderen zu vernetzen - und dieses Netzwerk auch zu nutzen. „Viele Frauen scheuen sich, einen Bekannten anzurufen und zu fragen, ob er einen für eine bestimmte Stelle ins Spiel bringen kann“, sagt Kurmeyer. Oft würden Führungspositionen aber genau auf diese Weise besetzt.
Wer weiterkommen will, darf sich auf keinen Fall zurückziehen, wenn es mal nicht so läuft, mahnt Haubitz. Kommt jemand an der Klinik gar nicht weiter, kann auch ein Wechsel sinnvoll sein: „Wir leiden unter einem akuten Ärztemangel, das dürfen Frauen ruhig für sich nutzen.“
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