Karfreitag: Kunde boxt Apotheker ins Gesicht APOTHEKE ADHOC, 25.04.2020 09:05 Uhr
Apothekenmitarbeiter werden in der Coronakrise noch mehr als sonst zum Prellbock für viele Kunden: Manche Menschen lassen ihren Frust oder ihre Angst in der Offizin an ihnen aus. Im britischen Pharmaceutical Journal wurde nun ein besonders drastischer Fall geschildert: Ein Apotheker aus Sheerness in der Grafschaft Kent berichtet von einer Auseinandersetzung mit einem Kunden, der nicht einsehen wollte, dass nicht alle Medikamente verfügbar sind, die er abholen wollte. Das Gespräch endete mit einem Faustschlag ins Gesicht – und das auch noch an Karfreitag.
„In meinen mehr als zehn Jahren, die ich als Apotheker arbeite, habe ich so etwas noch nicht erlebt“, schreibt Krunal Vyas von der Sheppey Community Hospital Pharmacy in Sheerness. Die Apotheke hatte an Karfreitag eine Art Notdienst: Sie war aufgrund staatlicher Vorgaben für drei Stunden geöffnet, von 14 bis 17 Uhr – „ein sehr kleines Zeitfenster, um die länger werdende Schlange von Menschen zu bedienen, die sich mit Sicherheitsabstand vor der Apotheke sammeln“, merkt Vyas an.
Gegen 16 Uhr, eine Stunde vor Schluss, sei ein Mann in seinen späten 60ern an der Reihe gewesen, der Arzneimittel für sich und seine Ehefrau abholen wollte. Mit seinen Medikamenten gab es keine Probleme. Doch für die seiner Frau kam er zu früh: Die könnten erst in zehn Tagen abgegeben werden, erklärte ein Kollege von Vyas ihm am HV. „Doch er war unnachgiebig und der festen Überzeugung, dass er sie sofort mitnehmen würde“, erinnert sich Vyas. Als der Kollege sich weigerte, habe der Mann begonnen, zu herumzubrüllen und ihn zu beschimpfen. Er verlangte weiter, auch die Arzneimittel für seine Frau zu erhalten.
Als er das hörte, sei er seinem Kollegen zu Hilfe gekommen und wollte die Situation beruhigen, erinnert sich Vyas. „Wie mein Kollege habe ich versucht, ihm zu erklären, dass die Arzneimittel noch nicht fällig sind und dass seine Frau keine dringenden Medikamente benötigt. Wir haben gerade sehr viel zu tun, habe ich ihm gesagt, und dass gerade viele Patienten draußen in der Schlange warten.“ Er habe ihm gar angeboten, sein Bestes für ihn zu tun und die Arzneimittel schneller fertig zu machen. Er könne nach den Feiertagen vorbeikommen und sie abholen, wenn wieder mehr Mitarbeiter da sind und längere Öffnungszeiten herrschen. „Mit Sorge habe ich währenddessen mit einem Auge die wachsende Schlange draußen beobachtet“, so Vyas.
Doch es half nichts. „Er wollte nicht hören. Er begann zu brüllen und zu fluchen.“ Das habe er dann nicht mehr akzeptieren wollen, erinnert sich Vyas. „Ich will keinen Streit mit Ihnen. Leider bin ich nicht in der Lage, ihnen die Arzneimittel jetzt sofort zu geben. Sie müssen entweder morgen oder am Dienstag wiederkommen“, habe er ihm gesagt und sei zurück an seinen Platz im Backoffice gegangen, um weiterzuarbeiten. Doch der renitente Kunde ließ nicht locker. „Er verfolgte mich bis zur Tür, immer noch schreiend, mit erhobener und geballter Faust, und sagte, ich solle rauskommen.“ Vyas hat es indes weiter mit Ruhe versucht.
Er hätte niemals gedacht, dass er ihn wirklich schlagen würde und sprach ihn darauf an: „Wollen sie mich etwa schlagen, weil die Medikamente für Ihre Frau noch nicht fertig sind?“, habe er ihn gefragt. „Er antwortete mir mit einem Schlag ins Gesicht.“ Geschockt sei er gewesen, berichtet Vyas. „Ich konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Ich bin zurück nach hinten gegangen und habe mich traumatisiert, in Schmerzen und in Schock auf einen Stuhl gesetzt.“ Seinem Kollegen sagte er, er solle die Polizei rufen.
Physisch hinterließ der Zwischenfall nichts außer einem Feilchen. Schlimmer sind jedoch die psychischen Folgen, an denen Vyas seitdem zu laborieren hat. „Das war etwas, das mich daran zweifeln lässt, ob ich wirklich weiter in diesem Beruf arbeiten will.“ Einen Tag Auszeit habe er sich seit dem Zwisachenfall noch nicht gegönnt. „Ich gehe weiter jeden Tag in die Apotheke, obwohl ich mich jeden Morgen frage, was heute wohl passieren wird. Ich halte mich beschäftigt und vermeide es, mehr darüber nachzudenken.“ Er habe eine Frau zwei junge Töchter. “Ist es ihnen gegenüber fair, dass ich jeden Tag mein Leben aufs Spiel setze – entweder durch diese schreckliche Krankheit, die gerade grassiert, oder durch schockierende Gewalt von den Menschen, denen ich eigentlich zu helfen versuche?“ Es sei der Unterstützung seines Arbeitgebers und der Dankbarkeit großen Mehrheit der Kunden zu verdanken, dass er an seinem Job festhalte. „Es wird ein Weilchen dauern, bis ich über diesen furchtbaren Zwischenfall hinweg bin, aber ich bleibe bei meinem Beruf. So einfach will ich nicht aufgeben.“