Traumpraktikant aus Syrien Maria Hendrischke, 21.02.2016 11:32 Uhr
Der junge Pharmazeut Mohammad Alsaied aus Syrien hat eine gefährliche Flucht hinter sich. Schlepper brachten ihn über die kontrollierte Grenze, dann floh er im Schlauchboot über das Mittelmeer. Im November erreichte er Deutschland, nun lebt er im brandenburgischen Jüterbog. Seit knapp zwei Monaten hospitiert der 23-Jährige dort in der Mohren-Apotheke – und Apothekenleiterin Ute Matz ist von ihrem Praktikanten begeistert.
Alsaied kommt aus der syrischen Stadt Homs. Vor etwa zwei Jahren brach dort der Bürgerkrieg aus, inzwischen wird die Stadt vom Islamischen Staat (IS) kontrolliert. „Bomben fallen jetzt nicht mehr so oft, aber der IS kann jeden willkürlich ins Gefängnis werfen. Wir hatten Angst“, sagt Alsaied.
Im vergangenen Jahr ist er daher mit seiner 14-jährigen Schwester und einem Onkel aus seinem Heimatland geflohen. Er hatte an der Universität noch sein Pharmaziestudium abgeschlossen, obwohl der Krieg seine Stadt bereits erreicht hatte. „Aber der Abschluss war mir sehr wichtig“, erklärt er. Zwei Tage später waren sie in der Türkei. Schlepper hätten sie dorthin gebracht, denn die Grenze werde streng kontrolliert und sei nicht passierbar, so Alsaied. In der Türkei bezahlten sie dann dafür, in einem Schlauchboot weiter nach Griechenland gefahren zu werden.
Die drei schlugen sich bis nach Deutschland durch. „Ich kann gar nicht sagen, wie viele Schlepper wir bezahlen mussten“, sagt Alsaied. Schließlich kamen die drei in Eisenhüttenstadt an; von dort wurden sie in ein Wohnheim in Jüterbog gebracht. Alsaied teilt sich ein Zimmer mit seiner Schwester. Sein Onkel wohnt im Zimmer nebenan.
Seine Eltern, beide Englischlehrer, sind noch in Syrien. „Meine kleine Schwester vermisst sie sehr“, sagt Alsaied. Trotz regelmäßiger Stromausfälle in Homs kann die Familie jeden Tag kommunizieren: „Ich habe den Internetrouter meiner Eltern vor unserer Flucht an eine Autobatterie angeschlossen.“
Die Pfarrerin Mechthild Falk lernte Alsaied im Heim kennen. Sie vermittelte ihm das Apothekenpraktikum: „Ihr Mann ist Arzt und bei ihm hospitiert ein syrischer Mediziner“, sagt Ute Matz, die Leiterin der Mohren-Apotheke. „Sie fragte uns, ob wir bereit wären, Mohammad als Praktikanten aufzunehmen.“
Matz sagte spontan zu, denn sie wollte ihm helfen. Doch die Entscheidung musste sie noch mit dem Inhaber Marko Hill absprechen. Er war ebenfalls einverstanden. Alsaied stellte sich in der Apotheke vor. Um sicherzugehen, dass er wirklich Pharmazie studiert hatte, fragte Matz nach einem Zeugnis. Das sei noch bei seinen Eltern, sie würden es auf Englisch übersetzen, antwortete er. „Zwei Wochen später hat er uns eine Zeugniskopie und die Übersetzung vorgelegt – und ich war beeindruckt von seinem sehr guten Abschluss“, sagt Matz.
Damit war die Sache klar; Alsaied konnte im vergangenen Dezember als Hospitant beginnen. Es gab ein bürokratisches Problem: „Ich wollte ihn als Praktikanten bei uns versichern, aber das ging nicht, weil er für das Praktikum kein Geld bekommt“, sagt Matz. Alsaied hat fünf Stunden pro Tag Deutschunterricht und hilft außerdem als ehrenamtlicher Übersetzer im Heim. Deshalb hat er keinen festen Arbeitsplan: „Er kann in die Apotheke kommen, wann immer er Zeit hat“, so Matz.
Dort hört er vor allem bei den Beratungsgesprächen zu, denn er will die deutschen Fachausdrücke lernen. „Ich verstehe jetzt etwa 80 Prozent“, schätzt er. Deutsch sprechen falle ihm noch schwer; im Zweifel greife er auf Englisch zurück. In einigen Tagen wird er einen Deutschkurs auf dem Niveau B1 abschließen. Alsaieds Ziel ist es, auch in Deutschland als Apotheker arbeiten zu können. Für die Approbation benötigt er fließende Sprachkenntnisse. Zudem muss er das dritte Staatsexamen bestehen.
In Syrien hat Alsaied im Rahmen seines Studiums auch ein Praktikum gemacht. Außerdem half er in der Offizin seines Onkels aus. „In syrischen Apotheken gibt es viel weniger Regeln als in Deutschland“, berichtet er. „Wir unterscheiden nicht zwischen Rx- und OTC-Medikamenten, sondern geben eigentlich alles ohne Rezept ab.“ Das findet er nicht gut: „Das deutsche System ist viel sicherer.“ Sein Praktikum in der Mohren-Apotheke will er noch so lange wie möglich fortführen.
Matz lobt ihren Praktikanten: „Mohammad ist ein ein sehr freundlicher Mensch, er lernt unglaublich schnell – der Traum schlechthin.“ Wenn in der Apotheke viel los sei, hole er die geforderten Medikamente von hinten. „Er ist eine große Hilfe.“ Sie sehe ihn gewissermaßen als einen Sohn. Die kleine Schwester sei vor kurzem zum ersten Mal in die Apotheke gekommen. „Mohammad versucht gerade, die Vormundschaft für sie zu bekommen.“
Die Rückmeldungen der Kunden zu dem Hospitanten seien überwiegend positiv. „'Das ist gelebte Integration', hat uns ein Kunde gesagt“, berichtet Matz. Manche Jüterboger kämen nur deshalb in die Apotheke, um dem Team mitzuteilen, dass sie dieses Engagement unterstützten. „Wir hatten allerdings auch einen bösen Anruf und wurden gefragt, ob es denn nicht genug deutsche Praktikanten gäbe“, sagt Matz. „Aber davon lassen wir uns die Laune nicht verderben.“
In der kommenden Woche haben Alsaied, seine Schwester und sein Onkel ein Gespräch, in dem über ihren Asylantrag entschieden wird. Alsaied ist zuversichtlich, dass ihre Anträge genehmigt werden. Und falls doch nicht? „Dann haben wir zumindest alles versucht, um ein besseres Leben zu haben.“