Das Vorhaben von Italiens Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin ist ohne Zweifel richtig und wichtig. Italien gehört zu den Ländern mit den wenigsten Geburten pro Frau in Europa. So wenig Kinder wie im letzten Jahr sind hier seit Bestehen der Republik noch nie zur Welt gekommen. Bambini müssen her. Die Ministerin will also ihre Landsleute über Fertilität aufzuklären. Doch ihre Fruchtbarkeitskampagne entwickelt sich zum Rohrkrepierer. Beim ersten „Fertility Day“, bei dem heute im ganzen Land Experten über das Thema diskutierten, entlud sich die Wut auch in Protesten.
Von Anfang an: Ende August verbreitete das Gesundheitsministerium ein Foto, auf dem eine Frau mit einer ablaufenden Eieruhr zu sehen war, darunter der Text: „Schönheit ist zeitlos, Fruchtbarkeit nicht.“ Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten, im Netz regten sich Nutzer darüber auf, dass Frauen die Schuld daran gegeben werde, nicht schwanger zu werden. Sexistisch sei das, hieß es. Auch Ministerpräsident Matteo Renzi schaltete sich ein. Das Gesundheitsministeriums zog die Fotos zurück.
Und nun der nächste Fettnapf: Eine Broschüre sollte eigentlich erklären, was gute und schlechte Angewohnheiten sind, wenn man Kinder bekommen will. Unter den guten wurde ein Bild von zwei lachenden weißen Pärchen am Meer abgebildet – das sollte suggerieren, Liebe, frische Luft und Sport sind gut für die Fruchtbarkeit. Unter den schlechten Angewohnheiten ist ein Schwarzer und ein Mensch mit Rastalocken zu sehen, die Drogen nehmen. Die gewollte Botschaft: Drogen sind schlecht für den Körper.
Stattdessen sah sich das Ministerium dem Rassismusvorwurf ausgesetzt. „Nach dem Debakel um den Fertility Day versucht es Ministerin Lorenzin erneut: Schwarz ist gleich schlecht, blond ist gleich gut. Sind wir wirklich erst so weit?“, fragte der Schriftsteller Roberto Saviano („Gomorrha“) auf Twitter.
Es folgte der zweite Rückzieher des Gesundheitsministeriums, die Verbreitung der Broschüre wurde gestoppt. „(Die Kampagne) war wirklich hässlich, aber ich bin Ministerin und nicht Kommunikationsfachfrau“, sagte Lorenzin. Es handle sich um einen technischen Fehler und «Unfähigkeit». Ihr gehe es darum, um die Risiken für Sterilität aufzuklären. Demonstranten verlangten dennoch ihren Rücktritt.
Die aufgeheizte Stimmung zeigt, dass es in Italien nicht (nur) um das medizinische Problem der Unfruchtbarkeit geht. Es geht um viel tieferliegende gesellschaftliche Probleme: Das Land, in dem Bambini verehrt werden, tut wenig, damit Kinder auf die Welt kommen.
Zwar bekommen Kinder überall Lollis geschenkt und werden bewundert, geküsst und mit Komplimenten überschüttet. Aber es gibt weder genug erschwingliche Kindergartenplätze, noch einen zufriedenstellenden Mutterschutz. Elternzeit und Kindergeld, wie man es in Deutschland gewohnt ist – davon können Italiener nur träumen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, was die Menschen vom Kinderkriegen abhält.
„2015 sind in Italien 485.000 Kinder geboren, mit im Durchschnitt 1,37 Kindern pro Frau sind das sind so wenige wie nie zuvor“, sagt Professor Cristofaro De Stefano von der Abteilung Reproduktion und Sterilität im Krankenhaus San Giuseppe Moscati di Avellino. Die Frauen in Italien sind zudem in der EU am ältesten, wenn sie ihr erstes Kind bekommen.
„Anstatt das Geld in eine teure Kampagne zu stecken, sollten sie es für Schulen verwenden, damit Eltern nicht mehr das Klopapier selbst mitbringen müssen“, sagt Kiersten Miller, die in Rom in ihrem Schwangerenladen Milk Bar für bessere Bedingungen fürs Kinderkriegen kämpft und mit dem Projekt „Bellies Abroad“ auch Mütter aus dem Ausland berät. „Das Problem ist doch, dass junge Frauen keine Jobs bekommen, weil Arbeitgeber Angst haben, dass sie bei einer Schwangerschaft ausfallen und zu einem Loch werden, in dem Geld versenkt wird.“
Die Geburtskliniken in Italien machten zwar neuerdings Werbung mit fortschrittlichen und alternativen Geburtsmethoden, „aber in der Praxis ist das noch nicht angekommen“, sagt Miller. Viele Frauen berichteten von traumatischen Geburtserlebnissen in Krankenhäusern – kein Wunder also, dass es bei vielen nur bei einem Kind bleibe.
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