Inhaberin erkrankt an Covid-19 – und teilt es auf Instagram APOTHEKE ADHOC, 02.12.2020 10:58 Uhr
Die Sorge vor einer Infektion mit Sars-CoV-2 treibt viele Apotheker um, vor allem viele Inhaber. Was wird aus mir, meiner Familie, meinem Team, meiner Apotheke? Wie kann ich mich auf den Ernstfall vorbereiten und womit muss ich rechnen? Inhaberin Daniela Naumburger aus Stuttgart hat den Ernstfall durch und es geschafft, ihren Familienbetrieb geöffnet zu halten. Ihr Krankheitsverlauf zeigt, wie unberechenbar Covid-19 ist.
Vor knapp vier Wochen fing alles ganz unscheinbar an – so unscheinbar, dass die Pharmazeutin selbst nicht darauf kam, dass sie sich das Virus eingefangen haben könnte. „Ich hatte Ende der Woche ein leichtes Kratzen im Hals und meine Nase hat gekribbelt“, erzählt Naumburger. Mit ein bisschen medikamentöser Nachhilfe verflogen die Symptome jedoch sehr schnell wieder, noch vor dem Wochenende schien sie genesen. „Aber vier Tage später wachte ich morgens mit starker Übelkeit auf. Normalerweise verfliegt sowas schnell im Laufe des Vormittags wieder, diesmal war es aber anders.“ Denn statt zu verfliegen, verschlimmerten sich die Symptome. Dass sie auch da noch nicht an Covid-19 dachte – wer kann es ihr nicht nachsehen? Husten, Fieber, Schnupfen, Geruchs- und Geschmacksstörungen: das sind die Hauptsymptome, auf die man laut Robert-Koch-Institut achten sollte. In der zweiten Reihe folgen unter anderem Kurzatmigkeit, Atemnot, Hals- sowie Kopf- und Gliederschmerzen. Nichts davon hatte sie und Übelkeit allein ist wahrlich zu unspezifisch, um gleich vom Schlimmsten auszugehen.
Also schonte sich Naumburger erst einmal – so gut es eben ging. „Ich wäre schon am Montag am liebsten zu Hause geblieben, aber ich bin die einzige Apothekerin bei uns, also habe ich mich zur Arbeit gequält, mich aber allein ins Notdienstzimmer gelegt und vorsichtshalber darauf geachtet, so wenig wie möglich mit dem Team in Kontakt zu kommen. Die meisten Sachen haben wir telefonisch erledigt und abends habe ich dann immer gewartet, bis alle raus sind, damit ich auch niemandem begegne.“ Das sollte sich womöglich noch als weise Entscheidung herausstellen. Erst einmal ging es aber weiter bergab. „Es war ausschließlich Übelkeit, aber die wurde immer schlimmer. Ich konnte kaum noch etwas machen, lag nur noch auf dem Sofa. Jeden Tag quälte ich mich zur Arbeit und war abends froh, dass der Tag vorbei war.“
An Covid-19 dachte sie da allerdings immer noch nicht – sie hatte ja schließlich auch keinerlei typische Symptome. Ihre Kinder brachten sie dann dazu, sich doch testen zu lassen. Zwei Söhne arbeiten mit in ihrer Nordbahnhof Apotheke, einer als PTA, der andere im Marketing. „Als sie mich fragten, ob es vielleicht sein könnte, dass ich Corona habe, meinte ich noch ‚Nein, ich doch nicht!‘“, erinnert sich die 52-Jährige. „Man will es in dem Moment auch einfach nicht wahrhaben.“
Doch es kam so, wie ihre Kinder befürchteten. Naumburgers Sohn hatte zwischenzeitlich den Arzt über der Apotheke angerufen. Also ging es die Treppe hoch, wo der Mediziner bereits mit dem Stäbchen in der Hand wartete. „Für ihn war der Fall gleich klar“, erzählt Naumburger. Sie habe doch aber gar keine Symptome, wendete sie ein – und wurde vom Arzt eines Besseren belehrt. Schon das starke Krankheitsgefühl sei typisch, außerdem könne das Virus alle Organe des Körpers angreifen, also auch den Verdauungstrakt. Tatsächlich werden auch Durchfall und Bauchschmerzen schon seit längerem als Symptome beobachtet, wenn auch nicht so deutliche wie die zuvor genannten. Außerdem sind sie allzu unspezifisch, wenn zuvor keinerlei mögliche Gefahrensituation für eine Infektion bekannt ist. Und das ist bei Naumburger der Fall: Wo sie sich angesteckt hat, weiß sie bis heute nicht. Seit Beginn der Pandemie halte sie sich vorbildlich an alle Hygienevorschriften, versichert die Inhaberin. Die Apotheke ist mit Plexiglasscheiben ausgestattet, alle Mitarbeiter arbeiten mit FFP2-Masken.
Doch selbst das bewahrte sie offensichtlich nicht vor der Infektion. Ihr Mann kümmerte sich um den Test, brachte ihn persönlich vorbei und verwies darauf, dass es dringend ist, weil es sich bei der Patientin um eine Apothekerin handelt – systemrelevantes Personal also. Das Labor berücksichtigte das, schon am Samstag erhielt sie ihr Ergebnis. Was kurz klingt, kann sich im Ernstfall aber unbeschreiblich lang anfühlen. „Die wenigen Stunden kamen mir vor wie eine Ewigkeit“, erzählt Naumburger. Zum körperlichen Leiden kam dann noch das Karussell im Kopf. „Ich hatte wirklich Angst. Und ich fragte mich: Was mache ich mit meiner Apotheke ohne Apothekerin, wenn der Test positiv ist und ich in Quarantäne muss?“ Also raffte sie sich trotz der Übelkeit auf, um ihren Angestellten E-Mails an bekannte Apotheker zu diktieren – ob denn nicht im Ernstfall irgendjemand aushelfen könnte, wollte sie wissen.
Dass der Ernstfall eintritt, erfuhr sie am nächsten Tag aus der Corona-App: Der Test war positiv. Kurz darauf erhielt auch ihre restliche Familie die schlechte Nachricht aus der App: Ein roter Warnhinweis forderte sie auf, sofort in Quarantäne zu gehen. Das restliche Team der Apotheke ereilte es genauso – alle in Quarantäne. Nun musste Naumburger zusehen, wie sie den Betrieb am Laufen hält. Und quasi nebenbei erst einmal selbst die Diagnose verdauen. Und das ist ein harter Brocken: Wenn es bisher schon so ein untypischer Verlauf war, woher sollte sie dann wissen, wie es von da an weitergeht – wie leicht oder schwer der Krankheitsverlauf werden würde? So klischeehaft es klingt: Die Vernunft gebot, mit allem zu rechnen. „Erst einmal bin ich in ein Loch gefallen“, erinnert sie sich. „Sofort gingen mir so viele Sachen durch den Kopf. Ich habe meinem Mann gesagt, wo meine Patientenverfügung ist, wie ich mir schlimmstenfalls meine Beerdigung vorstelle und so weiter. Das lässt einen auch erst einmal nicht mehr los, ich habe dann sogar nachts geträumt, dass ich beatmet werden muss. Das Schlimmste aber ist, dass man das alles nicht selbst in der Hand hat.“
Immerhin funktionierte es auf Biegen und Brechen mit der Apotheke: Eine der angeschriebenen Apothekerinnen erklärte sich tatsächlich bereit zu helfen; eine andere, die regelmäßig aushilft, wenn die Naumburgers im Urlaub sind, ebenso. Außerdem war eine der PTA gerade aus einem vierwöchigen Urlaub zurückgekommen und hatte seitdem weder Chefin noch Kollegen gesehen – genug Zeit, um sicherzugehen. Eine zweite PTA, die normalerweise nur sporadisch aushilft, hatte ebenfalls in den letzten Wochen keinen Kontakt zum Team. Mit abwechselnd einer der beiden Apothekerinnen und den zwei PTA konnte die Apotheke also über die Quarantänezeit hinweg offengehalten werden. Leicht sei das absolut nicht gewesen, räumt Naumburger dankbar ein. Doch die Quarantänezeit verging und nach und nach erhielten ihre Mädels, wie Naumburger sie nennt, negative Testresultate. „Von denen hat keine gesagt: ‚Super, zwei Wochen frei!‘ – sie wollten alle helfen.“
Sie selbst versuchte derweil, zu Hause, so gut es geht, über die Runden zu kommen. „Ich lag die meiste Zeit nur im Bett und konnte fast nichts tun. Selbst der Gang zur Toilette war eine Herausforderung. Aufgrund der Übelkeit konnte ich auch kaum etwas essen. Ich habe in den zwei Wochen spürbar an Gewicht und Muskelmasse verloren.“ Selbst, sich aufzurichten, um etwas zu essen, sei ihr schwer gefallen. „Nach fünf Minuten habe ich mich gefühlt, als wäre ich einen Marathon gelaufen.“ Gleichzeitig war ihr bewusst, dass sie sich in einem klassischen Teufelskreis befindet: Das wenige Essen und die fehlende Bewegung schwächen das Immunsystem zusätzlich, dadurch geht es ihr noch schlechter, sie kann noch weniger essen, bewegt sich noch weniger und so weiter. „Also habe ich mir dann wenigstens regelmäßig Ingwershots reingewürgt und Orthomol Immun genommen“, erzählt sie.
Allerdings – das betont sie als gutgemeinten Rat – habe sie sich bereits in den Wochen vor der Infektion darum gekümmert, ihr Immunsystem zu stärken. „Wenn ich das nicht getan hätte, wäre es eventuell ganz anders verlaufen. Das ist eine wichtige Message, die ich teilen möchte: Man sollte sich nicht nur schützen, sondern vorsorgen und das Immunsystem stärken, damit es im Zweifelsfall mit der Krankheit klarkommt.“ Einen weiteren Tipp habe sie vom Arzt erhalten: Thrombozytenaggregationshemmer. Denn, so sagte er ihr, es sei mittlerweile sehr sicher, dass Sars-CoV-2 das Blut verdickt. Blutverdünner könnten so möglichen Komplikationen vorbeugen und eventuell sogar die Genesung beschleunigen.
Solche Tipps wollte sie nicht für sich behalten. Im Gegenteil: Naumburger teilte ihre Erfahrungen auf ihrem Instagram-Account. Detailreich schildert sie dort ihre Erfahrungen in mehreren Posts. Auch das sei keine leichte Entscheidung gewesen. „Ich hatte vorher schon etwas Angst, welchen Eindruck das macht, was Kunden und Kollegen denken könnten“, sagt sie. Doch im Endeffekt sei ihr die Botschaft wichtiger gewesen. „Ich habe dann sehr gutes Feedback von vielen Leuten bekommen, die meisten davon selbst PTA oder Apotheker. Ich habe das Gefühl, dass das viele Leute wachgerüttelt hat.“
Und ihre Familie? Die blieb trotz des engen Kontakts überraschenderweise gesund. „Niemand, mit dem ich Kontakt hatte, hat sich bei mir angesteckt, nicht einmal meine Familie.“ Und Gelegenheit dazu hätte es wahrlich genug gegeben. Nicht nur arbeiten ihre beiden Söhne mit ihr in der Apotheke, schon vor dem Test, als es ihr bereits schlecht ging, haben sie sie jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit und zurückgefahren. Es ist schon verwunderlich: Da fängt sie sich das Virus trotz aller Sicherheitsmaßnahmen ein, ohne sich bis heute erklären zu können, wie das geschehen ist. Und dann hat sie tage- und wochenlang engen Kontakt zu ihrer Familie, ohne dass sich jemand von ihnen anstecken würde. Als letztes Familienmitglied konnte sie selbst die Quarantäne verlassen. Die Symptome waren größtenteils abgeklungen, doch die Folgen der langen Bettlägerigkeit waren zu spüren. „Am ersten Tag nach der Quarantäne habe ich draußen einen kurzen Spaziergang gemacht – und sofort hatte ich überall Muskelkater. Da merkt man, wie schnell man abbaut.“ An den Folgen hat sie nach wie vor zu laborieren, doch langsam geht es wieder bergauf. Seit dieser Woche steht sie wieder in ihrer Apotheke.
Welche Lehren sie aus der Episode zieht, kann Naumburger nur schwer sagen. Doch auch das ist bereits eine Lehre: Situation und Krankheitsverlauf sind so individuell, dass man nur schwer allgemeine Ratschläge erteilen kann. „Ich finde es sehr schwierig, sich auf sowas vorzubereiten, einen generellen Tipp kann ich da kaum geben.“ Natürlich müsse man möglichst vorbildlich die Hygienevorschriften einhalten, insbesondere regelmäßiges Lüften hält sie für geeignet, um die Viruskonzentration in der Luft zu verringern. „Aber dass es letztlich so gelaufen ist, wie es gelaufen ist, konnte man vorher nicht planen.“ Auch von der Arbeit im Schichtsystem halte sie nicht viel, das habe sie im Frühjahr bereits gemacht, aber es habe mehr Probleme verursacht, als Nutzen zu bringen. Sinnvoll sei, während der Arbeit strikt auf das Tragen von FFP2-Masken zu achten und Gruppen für Frühstück und Pause zu bilden, sodass sich immer nur möglichst wenige Kollegen ohne Maske begegnen. Den Rest müsse man individuell einschätzen. „Es hätte auch sein können, dass wir keine Apothekerin finden und hätten zwei Wochen schließen müssen. Aber dann wäre das eben so gewesen.“ Genauso gefährlich wie die Gefahr selbst ist nämlich oft die Angst vor der Gefahr. „Man muss eine gesunde Mitte finden. Man darf das nicht auf die leichte Schulter nehmen und muss gerade sehr viel beachten und vorsichtig sein. Aber man darf sich auch nicht so viel Angst machen, denn Angst und Anspannung schwächen das Immunsystem mehr als es den meisten Menschen bewusst ist“, sagt sie. „Am besten ist: Man sorgt dafür, dass es allen um einen herum gut geht.“