„Wir laufen auf dem Zahnfleisch“

Inhaber leistet 80-Stunden-Woche, um zu überleben

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Berlin -

In seiner kleinen Rathaus-Apotheke in Bebra bestreitet Inhaber Björn Mikus alle 53 Notdienste im Jahr ganz allein. Mittlerweile geht der Apotheker in seiner 80-Stunden-Woche nur noch auf dem Zahnfleisch: „In neun Jahren hatte ich 30 Tage Urlaub. Ich kann mir schlichtweg keinen Apotheker leisten. Also bestreiten meine PTA, PKA und ich die Schichten. Wir sind dementsprechend ausgebrannt.“

Weil Mikus an der Apotheke hänge, sei die Entscheidung zur endgültigen Aufgabe dementsprechend schwer: „Ich habe die Apotheke von meinem Vater übernommen. Sie wurde einen Tag nach meiner Geburt eröffnet, wir altern zusammen“, so der Inhaber. Auf einen Nachfolger könne er ebenfalls nicht hoffen: „Verkaufen kann ich die Apotheke an niemanden mehr, sie wäre dann einfach geschlossen.“

Vernünftig wäre die Aufgabe hinsichtlich der Gesundheit dennoch: „Meine Frau sagt schon eine Weile, wir sollen in die Schweiz oder nach Österreich gehen. Dort bekäme man wenigstens ein anständiges Gehalt. Immerhin haben wir eine fünfköpfige Familie zu ernähren.“ Im Moment komme hierzulande am Monatsende fast nichts mehr rum, so der Inhaber: „Es reicht gerade, um zu überleben.“ Er frage sich mittlerweile: „Kann man sich als Apotheke hier in Deutschland noch auf irgendwen verlassen oder sollte man diesem Land den Rücken kehren?“

Täglich kämpfe er, wie andere Apotheken auch, mit nicht enden wollenden Lieferengpässen: „Es geht durch die Bank weg. Ich muss fast jedem Patienten erklären, dass wir Medikament XY nicht bekommen oder es dauert, bis es geliefert wird“, so Mikus. Gebe er ein vorrätiges Arzneimittel ab, wisse er nicht, ob er es demnächst auch nachbekommen wird: „Ozempic ist da ein hervorragendes Beispiel. Ich habe ein halbes Jahr auf Ware gewartet. Die Kundschaft kam mitunter über 50 km gefahren, weil es schlicht nirgends etwas gab“, so der Inhaber.

Einfachste Medikamente fehlen

Weiter gehe es mit Engpässen bei simpelsten Medikamenten: „Wir haben eine Augenarztpraxis im Haus. Antibiotische Salben oder Tropfen gehen am Tag wie warme Semmeln weg. Bitter, wenn ich jedes Mal die Kundschaft zurück zum Arzt schicken muss, damit Alternativen verordnet werden“, so Mikus. Umso mehr ärgert er sich über Lauterbachs Aussagen zu gut verdienenden Apotheken: „Dieser Mann gehört abgesetzt.“

Besser fand Mikus den Streiktag der Ärzte und Ärztinnen: „Wenn man sieht, schaffen es die Ärztevertreter doch immer wieder, jedes Jahr mehr Geld rauszuholen. Auch wenn es nur ein wenig ist.“ Zur Streik-Beteiligung der Apotheken: „Die Kammer Hessen sagte, man könnte nicht 3 Tage am Stück schließen, die Versorgung wäre nicht gewährleistet. Somit stellt sich mir die Frage wie sieht es denn dieses Jahr Weihnachten aus, da ist es möglich? Das ist die gleiche Situation: Sonntag, Montag, Dienstag, Feiertag.“ Er fragt: „Doch was schaffen diese lahmen Enten bei der Abda? Mehr Geld in die eigene Tasche und wir bleiben auf der Strecke.“

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