Infektionskrankheiten

Syphilis bleibt oft unbemerkt dpa, 19.04.2017 11:22 Uhr

Lange Zeit ging die Zahl der Syphilis-Fälle zurück. Das hat sich wieder geändert – oft bleibt die Ansteckung unbemerkt. Das kann im schlimmsten Fall lebensbedrohlich sein. Foto: CDC/Susan Lindsley
Köln/Bochum - 

Eine komische Stelle am Mund, ein bisschen Ausschlag – das war's oft schon. Auf die Idee, an Syphilis erkrankt zu sein, kommen die wenigsten, wenn sie solche Symptome haben. Das liegt auch daran, dass die Infektionskrankheit aus dem Bewusstsein vieler Deutscher verschwunden ist. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat zufällig ausgewählte Erwachsene gefragt, welche sexuell übertragbaren Krankheiten außer HIV sie kennen. Syphilis wurde zwar am zweithäufigsten genannt - aber nur von 47 Prozent der Befragten.

Vielleicht stecken sich auch deshalb seit 2010 wieder mehr Menschen in Deutschland mit dem Erreger an. Im Jahr 2015 waren laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) 6834 Menschen betroffen – knapp 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Bemerkt der Erkrankte die Ansteckung nicht, kann Syphilis lebensbedrohlich werden. Wird sie rechtzeitig erkannt, genügt aber meist eine einzige Spritze, um sie wieder loszuwerden.

Die Syphilis-Erreger – Treponema pallidum Bakterien - werden in der Regel beim Sex übertragen, entweder durch Geschlechtsverkehr oder Oralverkehr, erklärt Prof. Norbert Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI Gesellschaft zur Förderung der Sexuellen Gesundheit. Über winzige Verletzungen gelangt der Erreger in den Körper. „Die Wahrscheinlichkeit, sich bei ungeschütztem Sex mit einem Betroffenen anzustecken, liegt bei etwa 60 Prozent“, sagt Brockmeyer, der auch das Zentrum für Sexuelle Gesundheit und Medizin am Uniklinikum Bochum leitet.

Das Tückische: Hat man sich angesteckt, bemerkt man es – wenn überhaupt - erst viel später. Symptome treten nämlich zwei bis drei Wochen nach der Ansteckung auf, erklärt Clara Lehmann, Expertin der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie.

Wird die Krankheit nicht behandelt, verläuft sie in drei Stadien: Zunächst bildet sich ein Syphilis-Geschwür – oft an den Geschlechtsorganen oder am Mund. „Das heilt nach ein paar Wochen von selbst wieder ab“, sagt Lehmann. Der Erreger verteilt sich aber unbemerkt im ganzen Körper. In diesem zweiten Stadium bekommen die Erkrankten meistens einen Hautausschlag, oft sind auch die Entzündungswerte im Blut erhöht, sie bekommen Fieber und fühlen sich allgemein krank. „Auch das heilt wieder ab, und Betroffene merken oft nicht, dass sie Syphilis haben.“

Im dritten Stadium, das ohne Behandlung mehrere Jahre nach der Infektion eintreten kann, schädigt der Erreger im schlimmsten Fall große Gefäße wie die Bauchaorta, so dass sie platzt. Durch die Erkrankung kann auch Nervengewebe im Gehirn oder Rückenmark abgebaut werden. Mögliche Folgen sind Psychosen oder Demenz, wie Lehmann erklärt. Mediziner sprechen in solchen Fällen von der Neurosyphilis, die hierzulande allerdings nicht so häufig vorkommt.

Damit es so weit gar nicht erst kommt, muss eine Syphilis-Infektion frühzeitig behandelt werden. Meist genügt eine Penizillin-Spritze in den Gesäßmuskel, sagt Brockmeyer. Etwa sieben Tage später ist der Erkrankte nicht mehr ansteckend. In schweren Fällen spritzt der Arzt das Penizillin direkt in eine Vene.

Idealerweise steckt man sich aber natürlich gar nicht erst mit Syphilis an. Beim Sex sollten deshalb stets Kondome zum Einsatz kommen, erklärt Christine Winkelmann, Leiterin des Fachreferats Prävention von HIV/AIDS und anderen sexuell übertragbaren Infektionen der BZgA. Sie betont aber: „Die Nutzung von Kondomen reduziert das Risiko einer Ansteckung zwar, stellt aber keinen 100-prozentigen Schutz dar.“ Wichtig ist auch, Syphilis-Geschwüre bei einem anderen nicht zu berühren. Und nicht zuletzt gilt: Wer sich angesteckt haben könnte, sollte sich testen lassen. Das ist beim Arzt, aber auch in Gesundheitsämtern oder bei der Aids-Hilfe möglich.

Statistisch gesehen sind vor allem Männer gefährdet, die Sex mit Männern haben: Laut RKI steckten sich knapp 85 Prozent der Betroffenen bei sexuellen Kontakten zwischen Männern an. Aber egal ob hetero- oder homosexuell – Syphilis trifft ohnehin eher Männer. Der Anteil der betroffenen Frauen lag 2015 bei 6,2 Prozent.

Dass sich seit einigen Jahren wieder mehr Menschen mit Syphilis anstecken, liegt Experten zufolge auch an der eigenen Sorglosigkeit. Einige ziehen Sex ohne Kondom schlichtweg vor – auch wenn sie nicht mit ihrem langjährigen Partner schlafen, sagt Brockmeyer. Er sieht auch in Dating-Apps und Chats eine mögliche Ursache für den Anstieg. „Das ist eine Möglichkeit, die es früher nicht gab und die viel mehr sexuelle Kontakte ermöglicht.“ Und weil die späteren Sex-Partner vorher erstmal miteinander chatten, haben sie häufig das Gefühl, sich bereits zu kennen. Dadurch falle es leichter, das Kondom wegzulassen.

Lehmann vermutet noch etwas anderes: Seit einigen Jahren kann HIV mit Medikamenten so behandelt werden, dass die Virusmenge im Körper sehr gering ist. So können Betroffene ihren Partner bei ungeschütztem Sex nicht mehr anstecken. „Seitdem werden weniger Kondome verwendet, und die Zahl der Syphilis-Fälle und die anderer sexuell übertragbaren Erkrankungen steigt“, sagt Lehmann.