Nachdem ein kleiner Junge an Masern gestorben ist, steht eine generelle Impfpflicht wieder zur Diskussion. Noch hält sich die Politik bedeckt: Eine Impfpflicht sei zwar kein Tabu, stehe aber jetzt nicht an, so Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU). Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält die Impfpflicht zwar für „rechtlich nicht ausgeschlossen“, aber für das letzte Mittel. SPD-Gesundheitspolitiker Professor Dr. Karl Lauterbach will eine Impfpflicht für Kleinkinder, wenn die Impfbereitschaft nicht steige. Die Leserinnen und Leser von APOTHEKE ADHOC sehen weniger Grund zur Zurückhaltung und wollen Eltern schon heute in die Pflicht nehmen.
Insgesamt 73 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage sprechen sich für eine Impfpflicht aus: 45 Prozent von ihnen sind der Meinung, diese müsse dringend kommen, weitere 28 Prozent gaben an, sie seien zwar kein Fan, aber anders werde es nicht gehen.
13 Prozent sind der Ansicht, eine Impfpflicht bringe nichts, sie setzen eher auf Aufklärung. Immerhin 14 Prozent lehnen eine Impfpflicht ganz und gar ab: Auf keinen Fall dürfe eine solche eingeführt werden, denn sie greife zu stark in die persönliche Freiheit ein. Am 24. und 25. Februar nahmen 177 Leser und Leserinnen von APOTHEKE ADHOC an der Umfrage teil.
Auch unter den Ärzten gibt es viele Befürworter einer Impfpflicht: So sprach sich der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, bereits 2013 dafür aus: „Aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht ist eine Impfpflicht das einzig Sinnvolle“. Die eigenen Kinder nicht gegen Masern impfen zu lassen, sei verantwortungslos. Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, hat sich ebenfalls für eine Impfpflicht ausgesprochen. Gerade für Kinder könne die Krankheit tödlich sein.
Die Kinder- und Jugendärzte halten eine Impfpflicht jedoch für unrealistisch. „Eine generelle Impfpflicht wird sich wegen der Widerstände in der Bevölkerung nicht durchsetzen lassen“, sagte der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Dr. Wolfram Hartmann.
Der Verband betont aber das Grundrecht von Kindern auf Impfung. Nach Auffassung der Vereinten Nationen gehöre der Schutz vor schwerwiegenden Krankheiten durch Impfung zu den Grundrechten von Kindern. Wer seinem Kind bewusst den Impfschutz verweigere, handele nicht im Interesse des Kindeswohls, so Hartmann. Sogenannte Masern-Partys, auf denen sich nicht infizierte Kinder anstecken sollen, seien sogar Körperverletzung.
Aus Sicht der Grünen und der Linken geht ein Zwang zur Impfung zu weit: „Impfskeptiker bringt man nicht durch Zwang zum Umdenken, sondern durch umfassende, unabhängige Beratung“, sagte Katja Dörner, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag. Der Gesundheitsexperte der Linksfraktion, Harald Weinberg, betonte, das Selbstbestimmungsrecht der Eltern müsse weiter gelten.
In Deutschland haben sich die Impfquoten bei Kindern seit dem Jahr 2000 erheblich verbessert. Bei der Erstimpfung liegen sie heute bei 96,7 Prozent, bei der zweiten bei 92,4. Aber erst ab 95 Prozent kann eine Eliminierung der Krankheit langfristig gelingen. „Insgesamt ist der Impfstatus in der Bevölkerung weiterhin zu gering“, sagte Anette Siedler vom Robert Koch-Institut.
Der richtige Schutz vor Masern wird zurzeit in mehreren europäischen Ländern diskutiert. Eine Pflichtimpfung gibt es in Europa unter anderem in Bulgarien, Estland, Kroatien, Serbien und Ungarn. Auch in den USA wird diskutiert: Dort gab es seit Dezember insgesamt 118 Masern-Fälle. Zwei weitere Masern-Ausbrüche verursachten mehr als 30 weitere Ansteckungen. Insgesamt sind 17 Bundesstaaten betroffen. Bereits im vergangenen Jahr gab es offiziellen Angaben zufolge 644 Masernfälle – so viele wie seit 2000 nicht mehr.
Masern schwächen das Immunsystem und können bei Komplikationen zu schweren Infektionen wie Lungen- und Gehirnentzündungen führen. Laut Statistik sterben zwei von 1000 Patienten an den Folgen einer Masern-Infektion.
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