Video geht viral

Impf-Appell: Apotheker erntet Shitstorm

, Uhr
Apotheker Dr. Jens Landwehr aus Bayreuth meldete sich – zum ersten Mal – mit einem eigenen Videobeitrag zu Wort, um vor falschen Vorurteilen in Sachen Impfung gegen Covid-19 zu warnen – und fing sich umgehend einen Shitstorm von Impfverweigerern ein.Screenshot
Berlin -

Erst haben wir keinen Impfstoff, dann haben wir welchen, aber niemand will ihn. So ließe sich der suboptimale Verlauf der bisherigen Corona-Impfkampagne zusammenfassen. Schuld sind neben der Organisationsarbeit der Bundes- und Landesregierungen nicht zuletzt die Vorbehalte, die gegen den AstraZeneca-Impfstoff geschürt worden sind. Ein Apotheker aus Bayreuth hatte davon genug: Er meldete sich – zum ersten Mal – mit einem eigenen Videobeitrag zu Wort, um vor falschen Vorurteilen zu warnen – und fing sich umgehend einen Shitstorm von Impfverweigerern ein.

Manchmal kommt man an einen Punkt, an dem es einem einfach reicht. Dann muss man irgendetwas tun. So erging es vergangene Woche Dr. Jens Landwehr, dem Inhaber der Rathaus-Apotheke in Bayreuth. „Seit Wochen und Monaten reden wir uns in der Apotheke den Mund fusselig, um die Menschen über die Corona-Impfungen aufzuklären“, erzählt er. Entsprechend wenig begeistert war er, als er an dem Tag die Lokalzeitung las: „Sorgen wegen Impf-Nebenwirkungen“, titelte das Blatt. „Das ist doch ein Bärendienst an der Gesellschaft“, sagt Landwehr. „Danach bin ich einen Kaffee trinken gegangen und da erzählte mir der Kaffeeverkäufer, den ich eigentlich sehr mag, dass er sich auch nicht impfen lassen will. Da ist mir der Kragen geplatzt. Ich wollte den Menschen einfach mal sagen: ‚Hört doch bitte auf die, die sich mit einem Thema auskennen, nicht auf Fix und Foxi!‘“

Gesagt, getan: Landwehr setzte sich vor die Kamera und nahm für die Facebook-Seite seiner Apotheke einen viereinhalbminütigen Appell auf, in dem er sich nicht an die große weite Welt wenden wollte, sondern vor allem an sein eigenes Umfeld. „Das war eigentlich eher ein Appell an meine Nachbarschaft. Viele Menschen sind verunsichert und wenn ich mich in so einem Video hinsetze und zeige, dass der Apotheker Landwehr vor falschen Befürchtungen warnt, dann hat das doch dort eine größere Wirkung, als wenn die Bundesregierung ‚Deutschland krempelt die Ärmel hoch‘ auf Litfaßsäulen schreibt.“

In seinem Appell bezieht sich Landwehr auf Einwände, die er häufig in der Apotheke zu hören bekommt. „Dann sollen sich halt die Gefährdeten impfen lassen, ich mach mich doch nicht zum Versuchskaninchen“, gibt er da wieder, „Ich ernähre mich so gut es geht bio und jetzt soll ich mir das ganze Genzeug impfen lassen?“ oder aber: „Und jetzt wollen die auch noch, dass wir zur Impfung Paracetamol nehmen. Da geht es doch nur um Vertuschung.“ Solche Argumente durch Aufklärung zu entkräften, war dabei gar nicht seine Absicht. Es gebe eine „Tendenz zur Impf-Verunsicherung“, sagt er. „Das besorgt mich unglaublich.“ Auch die Berichterstattung in vielen Publikumsmedien ist an dieser Verunsicherung nicht ganz unbeteiligt. Landwehr nimmt auch Bezug auf jenen Zeitungsartikel: „Es handelt sich hier nicht um Nebenwirkungen, sondern um eine Impfreaktion, die völlig natürlich ist.“

Im Folgenden klärt er kursorisch zumindest über jene Fehlwahrnehmung zu den Risiken der Impfung auf. „Vielleicht ist man tatsächlich so fertig, dass man ein paar Tage im Bett liegt – das kann sein.“ Das sei aber ganz normal und nichts, was dazu führen sollte, dass man die Impfung verweigert. „Das ist einfach der Lernprozess, den der Körper durchgehen muss, damit er am Ende mit dem Virus klarkommt, wenn es mal so weit ist und der versucht, einen zu befallen. Und überlegt euch doch bitte mal eins: Drei, vier Tage liegt ihr im Bett und seid nicht ganz fit, danach seid ihr aber wieder gesund und ihr seid geimpft und ihr seid mit allergrößter Wahrscheinlichkeit geschützt und schützt eure Lieben um euch herum und helft damit, dass wir diese Pandemie unter Kontrolle bekommen. Die paar Tage Bett müsste das doch eigentlich wert sein, würde ich jetzt mal sagen.“

Seine eigentliche Botschaft ist jedoch grundlegender: An Menschen, die Sorgen wegen Impfungen haben, richtet er den Appell: „Wendet euch nicht an Internetportale – es sei denn, es sind seriöse Quellen – sondern geht zu euren Ärzten und Apothekern vor Ort und befragt die. Denn da wird euch am besten geholfen und ihr bekommt valide Aussagen und nicht irgendeinen Quatsch aus dem Internet zu hören.“

Dass er ein offensichtlich kontroverses Thema anspricht, war Landwehr klar, „aber dass mir mit einem Schlag so eine Woge des Hasses entgegenschlägt, hatte ich auch nicht erwartet“, sagt er. Denn für sein Video erntete er einen amtlichen Shitstorm: Gut 1300 Kommentare sammelten sich in kürzester Zeit, die von genereller Impfgegnerschaft bis zum „Querdenker“-Duktus alle Register ziehen. „So ein Apotheker, der sehr wahrscheinlich geschmiert ist, ist in meinen Augen unglaubwürdig“, heißt es da. Oder: „Dieser Apotheker bezieht extra Honorar für diese schwachsinnigen Aussagen, wenn er gegen die Maßnahmen spricht, dann muss er mit Konsequenzen rechnen.“ Solche Kommentare gehören dabei noch zu den nettesten.

Darunter finden sich neben Beleidigungen auch massenhaft die üblichen Scheinargumente oder nicht belegte Behauptungen wie die von zahlreichen Todesfällen durch die AstraZeneca-Impfung, die seit Wochen kursieren. Aber eben auch solche: „Top Apotheke, Top Apotheker, bei manchen Kommentaren scheint die Zaunlatte die Grenze des Horizonts zu sein.“

Welcher Hass ihm für seinen Aufruf zu gesundem Menschenverstand entgegenschlägt, hatte sich in kürzester Zeit auch außerhalb des sozialen Netzwerks herumgesprochen. „Mich haben viele Leute angerufen und sagten ‚Ach, du Ärmster‘. Kunden kamen in die Apotheke und haben mir auf die Schulter geklopft. Sogar Juristen haben mich angerufen und mir kostenlosen Beistand angeboten“, erzählt er.

Doch Mitleid will er gar nicht, ganz im Gegenteil, er verweist darauf, dass ein solcher Shitstorm in einem sozialen Netzwerk eben nicht repräsentativ ist. „Alles, was abseits von Facebook an mich herangetragen wurde, war ausschließlich positiv und aktuell haben über 70.000 Menschen das Video angeschaut. Also kann ich davon ausgehen, dass es wahrscheinlich nur ein einstelliger Prozentsatz an Menschen ist, die das so negativ sehen. Von daher ist das nur so ein Grundrauschen, das ich gern in Kauf nehme, um die richtigen zu erreichen.“

Und auch auf die, die sich gegen ihn und die Corona-Impfungen wenden, will er demnächst eingehen, wie er erzählt: Auch basierend auf den Kommentaren habe er vor, sich künftig in mehreren Videos jenen Argumenten und Scheinargumenten zu widmen. „Das Problem dabei ist: Man kann sich nicht einfach hinstellen und sagen, das stimmt so nicht. Denn dann wäre man ja genauso wie die.“ Also recherchiere er derzeit kräftig und will weiter zur Aufklärung beitragen – hat aber vor allem eine Hoffnung: Dass er das künftig nicht mehr allein machen muss. „Ich würde mir wünschen, dass mehr Apotheker und Ärzte sich dabei engagieren“, sagt er. „Und wer kein eigenes Video drehen will, kann von mir aus auch meines teilen. Es ist ja keine Werbung für unsere Apotheke, sondern es geht darum, eine wichtige Botschaft zu transportieren, und ich sehe das als unsere Verantwortung als Heilberufler den Menschen gegenüber. Wenn sich die Apotheker und Ärzte jetzt nicht kümmern, die Leute an die Spritze zu kriegen, dann schafft das niemand, auch nicht die Bundesregierung.“

Auch vor Ort in der Apotheke wolle er seine Aufklärungsarbeit fortsetzen. Man müsse mit den Menschen reden und sie aufklären, falls sie Sorgen haben, sagt er. Natürlich sei das im Alltag oft nicht leicht, wenn man ohnehin genug um die Ohren hat. „Aber diese Zeit muss man sich gönnen und man kriegt das auch zurück. Denn wenn die Leute das Gefühl haben, dass ihnen seelische Ängste genommen wurden, dann kommen die auch mit dem nächsten Rezept wieder.“ Dass auch das nicht immer funktioniert, müsse man akzeptieren. Und manchmal brauche man eben auch gute Nerven: „Den schlimmsten Fall hatte ich letztens erst. Eine halbe Stunde habe ich einer Kundin alles rund um die Impfung erklärt. Und am Ende sagt sie, sie versteht das schon, will sich aber trotzdem nicht impfen lassen – weil ihre Friseurin ihr erzählt hat, dass es einem Freund ihres Bekannten nach der Impfung schlecht ging.“

 

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Neuere Artikel zum Thema
Mehr zum Thema
Verzögerungen wegen „KOB light“?
ePA: Die Angst vor Abmahnungen
Tausende Filialen schließen
USA: Kahlschlag bei Apothekenketten
Mehr aus Ressort
Saison startete 3 Wochen früher
Klimawandel verlängert Stechmücken-Zeit
Bei kaum längeren Fahrzeiten
Bessere Schlaganfallversorgung möglich

APOTHEKE ADHOC Debatte