Die Schule wurde ausgesetzt, Sportvereine waren lange Zeit geschlossen. Wochenlang ging außer Joggen nicht viel – das hat sich nicht nur bei Erwachsenen auf der Waage niedergeschlagen. Auch Kinder haben in den letzten drei Monaten zugenommen. Das Jährlich in Baden-Württemberg durchgeführte Fitnessbarometer bestätigt: Kinder, insbesondere im Grundschulalter, werden immer dicker.
Mit verschiedenen Übungen wird jährlich der Fitness- und Gesundheitszustand der drei- bis zehnjährigen Kinder in Baden-Württemberg gemessen. Verschiedene Wissenschaftler betreuen das Projekt. „Wir gehen dazu in Kindergärten, Grundschulen und Vereine, um motorische Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit zu testen“, sagt Klaus Bös, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das Fitnessbarometer wird von der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg bereits seit mehreren Jahren durchgeführt. Der Trend: Die Kinder werden inaktiver, betreiben weniger Freizeitsport und werden dicker.
Die Ergebnisse seien „dramatisch“, sagte Bös. „Von den getesteten drei- bis zehnjährigen Kindern in Baden-Württemberg liegen 12,6 Prozent der Kinder über dem Normalgewicht, davon sind 5,2 Prozent adipös.“ Für den Motorik-Test der Stiftung wurden knapp 23.000 Kinder getestet.
Adipositas ist mittlerweile die häufigste ernährungsabhängige Erkrankung bei Minderjährigen. Deshalb wurde die S3-Leitlinie „Adipositas-Therapie und -Prävention im Kindes- und Jugendalter“ im vergangenen Jahr überarbeitet. Sie zielt darauf ab, das Bewusstsein für die Krankheit zu stärken – Übergewicht geht mit physiologischen und psychologischen Folgeerkrankungen einher. Dies bestätigt die Notwendigkeit zur Prävention. Experten aus verschiedenen Fachgruppen, darunter die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), verankerten die Bedeutung von regelmäßiger Bewegung in der neuen Leitlinie.
Im Kampf gegen Fettleibigkeit von Kindern hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für das Stillen von Säuglingen geworben. In Teilen Europas sei eine vergleichsweise hohe Rate der kindlichen Fettleibigkeit weiter ein Problem, teilte das Europa-Büro der WHO mit. Babys, die niemals oder nur unregelmäßig gestillt worden seien, wiesen dabei ein erhöhtes Risiko auf, im Kindesalter übergewichtig zu werden. Die Organisation berief sich dabei auf zwei publizierte Studien. „Je länger ein Kind gestillt wird, desto größer ist der Schutz vor Fettleibigkeit“, erklärte die für nicht-übertragbare Krankheiten zuständige WHO-Europa-Direktorin Bente Mikkelsen. Dieses Wissen könne für die Bemühungen im Kampf gegen die Fettleibigkeit von Nutzen sein. Die WHO empfiehlt, dass Säuglinge in den ersten sechs Monaten ihres Lebens ausschließlich gestillt werden. Danach sollten sie neben der Muttermilch auch ergänzende Nahrungsmittel erhalten.
In Mecklenburg-Vorpommern ist der Anteil fettleibiger Menschen an der Bevölkerung laut Krankenkasse KKH am höchsten. Im Jahr 2018 waren einer Datenauswertung der Kasse zufolge im Nordosten 14,2 Prozent der Versicherten laut ärztlichem Attest deutlich zu dick, gefolgt von Sachsen-Anhalt mit einem Anteil von 13,7 Prozent und Brandenburg mit einem Anteil von 12,3 Prozent. Wie die KKH weiter mitteilte, wies Hamburg mit 8,6 Prozent den geringsten Anteil fettleibiger Menschen auf.
Bundesweit sei die Zahl der fettleibigen Versicherten von 2008 bis 2018 um mehr als 36 Prozent gestiegen. Die Gründe dafür seien neben schlechter Ernährung auch zu wenig Bewegung. Die Corona-Krise verschärfe das Problem noch, warnte die Kasse. Die Kontaktbeschränkungen und das Arbeiten im Homeoffice könnten die Verhaltensweisen bei Ernährung und Bewegung in eine inaktive Richtung lenken. Die KKH riet zu jeder noch so kleinen Bewegung, wie beim Telefonieren auf- und abgehen und spazieren gehen.
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