„Im Notdienst rettet man kein Leben“ Julia Germersdorf, 12.06.2023 10:19 Uhr
Selma Korkmaz, Inhaberin von zwei Apotheken in Ennepetal in Nordrhein-Westfalen, ärgert sich regelmäßig über die vielen Anrufe im Notdienst, die ihrer Meinung nach keinen Ernstfall darstellen. Sie plädiert dafür, dass die Dienstbereitschaft ab Mitternacht aufgehoben wird und erst um 6 Uhr morgens wieder einsetzt. Zudem beteiligt sie sich am Protesttag: Ihre Apotheken werden geschlossen sein.
„Im Notdienst rettet man kein Leben. Oft kommen nur Telefonate, die mich die ganze Nacht wachhalten. Daran verdiene ich natürlich nichts. Im Gegenteil: Ich mache auch noch Minus“, erzählt Korkmaz. „Nämlich dann, wenn ich einen angestellten Apotheker oder eine Apothekerin einsetze. Dann kommen enorme Personalkosten hinzu – ohne dass ich etwas eingenommen habe.“
Aus diesem Grund würde die Inhaberin am liebsten alle Notdienste selbst absolvieren. „Aber ob man es glaubt oder nicht, ich habe auch noch ein Privatleben und bin Mutter von drei kleinen Kindern. Mein Jüngster ist gerade erst ein Jahr alt. Ich wohne ohnehin schon halb in der Apotheke, weil ich die meisten Dienste selbst übernehme. Und nun steigt auch noch ständig die Anzahl, weil eine Apotheke nach der anderen schließt. Irgendwann kann man nicht mehr. Ich bin klar dafür, dass der Notdienst eingeschränkt wird. Nur so kann auf Dauer gewährleistet werden, dass wir am nächsten Tag wieder mit klarem Kopf weiterarbeiten können.“
(K)ein normaler Nachtdienst
Vor dem vergangenen Notdienst hat Korkmaz den ganzen Tag gearbeitet. Das sei im Grunde generell so. Auch anschließend kann sich die Inhaberin nicht freinehmen, da ihr das Personal fehlt. „Approbierte fallen nicht vom Himmel.“
Bis kurz vor Mitternacht seien ein paar Kund:innen dagewesen. Für Fälle wie Antibiotika, Schmerzmittel oder Notfallverhütung hat die Inhaberin absolut Verständnis. „Das ist vollkommen in Ordnung. Dafür bin ich gerne da – kein Thema. Aber eine ausführliche Beratung zu Abnehmprodukten um Mitternacht? Das ist nun wirklich kein Notfall. Über dieses Telefonat habe ich mich sehr geärgert.“
Korkmaz hat den Anrufer freundlich darauf hingewiesen, dass es sich bei der aktuellen Dienstbereitschaft um einen Notdienst für ernste Fälle handelt und es sich bei diesem Gespräch nicht um einen Notfall dreht. „Ich habe ihm angeboten, dass er am nächsten Tag zu den regulären Öffnungszeiten persönlich vorbeikommen kann.“ Der Mann habe sich nicht beirren lassen und weiter seine Fragen an die Apothekerin gestellt: zum Produkt, zu weiteren Möglichkeiten einer Diät, ab wann man eigentlich als übergewichtig gilt und so weiter. „Ich war so perplex, dass ich ihm auch noch alles erklärt habe.“
Dass sie uns mit ihren persönlichen Belangen, die offensichtlich keine lebensbedrohlichen Situationen darstellen, aus dem Schlaf holen, ist vielen Menschen vielleicht gar nicht bewusst.
Es gehe nachts oft um belanglose Dinge, weswegen die Menschen beinahe stündlich anrufen würden: Nasensprays und Schwangerschaftstests seien typische Beispiele. „Ich begreife das nicht. Ob ich so etwas nun nachts um 2 Uhr haben muss? Da kommt man sich schon ausgenutzt vor. Vieles hat mit Sicherheit auch bis 8 Uhr Zeit. Aus meiner Erfahrung heraus kann ich sagen, dass zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens nahezu kein einziger echter Notfall eintritt. In dieser Zeit könnte die Dienstbereitschaft unterbrochen werden.“
„Ich ruf später nochmal an“
Ein Anrufer vor einiger Zeit, an den sich die Apothekerin erinnert, wollte einen Tipp aus der Abteilung Hausmittel, weil er nicht schlafen konnte. „Manchmal würde ich am liebsten einfach nur auflegen. Was soll das?“ Mit am ärgerlichsten sei es jedoch, wenn nachts um halb drei das Telefon klingelt und am anderen Ende schlichtweg gefragt wird, ob man geöffnet hat. „Die Spitze des Eisberges erklimmen Patient:innen, die sich nach einer telefonischen Beratung später nochmal melden möchten, sollte der Rat nichts gebracht haben.“
Streik mit Sarg
„Meine beiden Apotheken bleiben am 14. Juni zu. Ennepetal beteiligt sich komplett.“ Die Mitarbeiter:innen von Korkmaz werden zur Demonstration gehen, sie fahren nach Düsseldorf. Die Apothekerin hat passend zum Protesttag ordentlich dekoriert. Sie möchte insbesondere auf das Apothekensterben aufmerksam machen. Dafür konnte sie sich sogar einen Sarg beim Bestatter ausleihen, der nun im Schaufenster stellvertretend für die vielen geschlossenen Betriebe steht.