„Ich kämpfe bis zu meinem allerletzten Berufstag“ Julia Germersdorf, 07.05.2023 20:07 Uhr
Der Apothekerverband Schleswig-Holstein (AVSH) ruft seine Mitglieder zum Protest am Dienstagvormittag auf. Bis 14 Uhr sollen alle Apotheken geschlossen bleiben, um ein Zeichen gegen das unaufhörliche Sterben der Vor-Ort-Betriebe zu setzen und sich für eine besserer Bezahlung stark zu machen. Dörte Rehmert betreibt drei Apotheken im Norden. Am 9. Mai bleiben die Türen all ihrer Offizinen zu.
„Ich bin leidenschaftliche Apothekerin und kämpfe bis zu meinem allerletzten Berufstag für die Apotheken vor Ort“, so Rehmert. Ihre Apotheken befinden sich in Oldenburg und Lensahn. Sie steht seit fast 30 Jahren am HV-Tisch und habe alle Tiefs des Apothekensektors miterlebt. Trotzdem ist sie nie ausgestiegen. „Mein Beruf ist meine Berufung. Und mein Team sieht das genauso.“ Rehmert hat viele Mitarbeiter:innen ausgebildet, die heute ihre pharmazeutische Arbeit ebenfalls mit Leib und Seele ausüben.
Wertschätzung? Fehlanzeige!
Kürzlich habe sie eine Bewerbung für eine Stelle als Apotheker von einem Einzelhandelskaufmann im Postfach gehabt. Sie habe sich gefreut, dass jemand Interesse an dem Beruf habe, musste ihn allerdings für diese Position ablehnen – keine Approbation. Zur Antwort habe Rehmert bekommen, dass aus der Stellenbeschreibung nicht klar hervorgeht, was ein Apotheker oder eine Apothekerin eigentlich ist. Das spiegele für sie deutlich wider, welche Wertschätzung Approbierte inzwischen oftmals haben.
Apotheke als niederschwellige Anlaufstelle
Kund:innen, die in die Apotheke vor Ort gehen, würden die individuelle Betreuung schätzen und auch das Zwischenmenschliche. Was ein Mensch verlangt und was er eigentlich braucht, liege oft weit auseinander. „Das sieht man manchmal an seiner Haltung oder man hört es an der Stimme. Das können Online-Apotheken nicht. Die Apotheke vor Ort ist wichtig. Wir brauchen sie.“
Apotheker:innen seien auch Mittler im Gesundheitswesen: Zwischen Arzt und Pflegedienst, zwischen Arzt und einer Rehaeinrichtung, zwischen Arzt und Patient:in… „Wir sind so viele Anlaufstellen. Wenn das wegbricht, wo können die Menschen sich noch Empathie abholen?“
Politik als Keiltreiber
Das Thema Impfen in der Apotheke habe einen weiteren Einschlag gegen die Zusammenarbeit mit Ärzten verursacht. „Das hätte anders präsentiert werden müssen, dann wären Ärzte vielleicht gesprächsbereit gewesen.“ Aus der Politik sei aber immer ein Keil zwischen Ärzt:innen und Apotheker:innen getrieben worden.
Sparmöglichkeiten sieht sie direkt im GKV-System: „Wir brauchen auch nicht so viele Krankenkassen. Was soll das?“ Da würden Millionen an Vorstandsgehältern flötengehen. Dieses Geld werde im System gebraucht, um die Menschen vernünftig zu versorgen, so die Apothekerin. „Die Krankenkassen müssten angehalten werden, die Mitgliedsbeiträge für Werbezwecken nicht zu missbrauchen: Kurz vor acht, zur teuersten Sendezeit im Fernsehen, oder als Sponsorenpartner großer Vereine. Sport ist wichtig, schon klar, aber das ist Veruntreuung von Mitgliedsbeiträgen. Das wissen die Versicherten natürlich nicht, die werden darüber nicht informiert geschweige denn gefragt. Da muss mal der Ansatz sein.“
Apotheken sind sich uneinig
Apotheken seien abhängig von Ärzten, von der Politik und von der Willkür der Krankenkassen. Am schlimmsten sei momentan jedoch, dass die Apotheker:innen sich untereinander in manchen Regionen nicht einig sind. Beim letzten Streik habe niemand außer ihr in Lensahn mitgemacht. In Oldenburg habe sich nur ein weiterer Kollege beteiligt. Zwei übrige Apotheken hielten die Türen offen und empfingen Patient:innen. „In Heiligenhafen sah es etwas besser aus, aber auf Fehmarn hat niemand mitgemacht.“
Ob diesmal mehr oder bestenfalls alle mitmachen, bezweifelt die Inhaberin. „Es ist leider so, dass die Kolleg:innen untereinander ganz schlecht miteinander sprechen. Es gibt Regionen, da läuft das toll, die beneide ich richtig. So habe ich mir das immer gewünscht. Der Konkurrenzkampf ist hier aber leider immens.“
„Das wird mit keinem Wort erwähnt“
Am Streiktag will Rehmert mit ihrem Team draußen vor den geschlossenen Apotheken vor Ort sein und den Leuten erklären, warum gestreikt wird und sie an diesem Vormittag nicht beraten werden. Sie will den Patient:innen anbieten, am Nachmittag wieder zu kommen, aber sagen, dass sie „heute Vormittag gerne ein Signal setzten möchte“ und zeigen, was passiert, wenn es die Apotheken vor Ort plötzlich nicht mehr gibt.
„Und wenn wir korrekt arbeiten, haben wir für dringende Fälle notdiensthabende Apotheken. Diese Apotheke ist da – damit ist eine Notversorgung gewährleistet. Es wird schwer werden, das den Leuten klarzumachen, weil wir ja immer da sind und versorgen.“
Für Rehmert steht außer Frage, dass sie in einer lebensbedrohlichen Situation hilft. Das tue sie jederzeit, auch außerhalb der Öffnungszeiten, „weil es um einen Menschen geht“. Deshalb sei es auch wichtig, die Apotheken vor Ort nicht zu vergessen.