Das Chaos um die Impf- und Genesenenzertifikate reißt nicht ab. Fast täglich kommen neue Änderungen hinzu, die Technik hinkt oft hinterher und den Ärger bekommen die Apotheken zu spüren. So ging es auch Apothekerin Dr. Hannieh Sotoud aus Hamburg: Sie wurde nach Ausstellung der Impfzertifikate für die Zweitimpfung von einem Kunden heftig angefeindet. Er warf ihr sogar vor Steuergelder zu missbrauchen. Die Apothekerin trifft der Vorfall schwer – sie wünscht sich mehr Dankbarkeit und ein anderes Bild der Apotheken in der Öffentlichkeit.
Sotoud erinnert sich noch genau an den Vorfall in ihrer Paracelsus-Apotheke. „Ich kann das immer noch nicht glauben“, gibt sie zu. Ein junger Mann habe mit seinem Sohn die Apotheke betreten. „Der Sohn hatte die Zweitimpfung bekommen, also fragte ich den Vater, ob er das Zertifikat für die erste Impfung schon in digitaler Form hat.“ Da das nicht der Fall war, stellt die Apothekerin beide Zertifikate für das Kind aus. Sotoud bat ihn darum, die Zertifikate nach Einpflegung in die App auch in Papierform zu behalten – für alle Fälle. Der Kunde verabschiedet sich und verlässt die Apotheke – bis hierhin lief alles ganz normal.
Rund eine Stunde später kam es dann zu einer unerwarteten Wendung, über die Sotoud bis heute verärgert ist. „Der Vater rief in der Apotheke an und beschwerte sich darüber, dass ich beide Zertifikate ausgestellt hatte. Er meinte, er hätte nur das zweite gewollt und ich hätte es bestimmt nur gemacht, um zwei Mal die 8 Euro kassieren zu können“, berichtet Sotoud aufgebracht. „Ich habe dann erstmal klargestellt, dass es nur 6 Euro sind – und, dass es häufig Probleme gibt, wenn nur das letzte Zertifikat ausgestellt und eingepflegt wird“, erklärt die Apothekerin. Schon häufiger hätten Kund:innen Hilfe in der Apotheke gesucht, weil es Schwierigkeiten deshalb gab.
„Ich habe ihm eigentlich sogar einen Gefallen getan und ihn gefragt, ob er nun wirklich deshalb nochmal anruft.“ Doch damit tritt sie eine Welle an Anfeindungen los: „Er meinte, ich würde Steuergelder missbrauchen und in der Öffentlichkeit entstehe häufiger der Eindruck, dass Apotheken die aktuelle Situation ausnutzen würden.“ Sotoud war auf derartige Anschuldigungen nicht vorbereitet, reagiert jedoch schlagfertig: „Ich habe ihm gesagt, dass sein Engagement super ist, er es jedoch besser an anderer Stelle einsetzen sollte.“
Die Apothekerin ist noch immer wütend über den Vorfall. „Ich hasse diese Zertifikate“, meint sie. Klar verdiene sie damit aktuell auch Geld, sie könne sich jedoch besseres vorstellen. „Wir helfen so vielen Menschen, die Probleme mit der App haben oder die ihre Nachweise verloren haben“, berichtet sie. „Wir lösen all diese Probleme ohne Geld dafür zu bekommen.“ Statt Dank ernte man dann von einigen noch Kritik. Glücklicherweise seien nicht alle Kund:innen so: Viele würden sich dankbar zeigen oder sogar etwas für die Kaffeekasse spenden.
Sotoud hat im Laufe der vergangenen zwei Jahre bereits viel Kritik zu Unrecht einstecken müssen – beispielsweise bei der Verteilung der kostenlosen Masken zu Beginn der Pandemie. „Plötzlich stand morgens eine große Schlange vor der Tür – wir hatten keine Zeit uns irgendwie darauf vorzubereiten.“ Wichtige Informationen würden zuerst in den Medien landen, bevor die Apotheken über das Vorhaben aufgeklärt werden. Die Kritik müssten dann jedoch die Teams vor Ort einstecken. Auch Sotoud und ihr Team seien beschimpft und beleidigt worden, hinzu kamen schlechte Google-Bewertungen.
Nach außen hin würde oft noch immer ein falsches Bild von Apotheken vermittelt, findet Sotoud. „Viele denken Apotheken sind reich und eine Goldgrube.“ Dabei merke niemand, dass viele grade um ihre Existenz kämpfen müssen. „Wir sind alle genervt und wir haben alle genug zu tun – manchmal fragt man sich schon, warum man noch in der Apotheke ist“, gibt Sotoud zu. „Man wird kraftlos.“ Neben vielen wirtschaftlichen Sorgen käme bei einigen noch die Personalnot hinzu und auch die künftigen Veränderungen rund um das E-Rezept würden viele Sorgen bereiten. „Ich will unbedingt weitermachen – aber es muss sich etwas am Bild der Apotheken in der Öffentlichkeit ändern“, meint die Apothekerin. „Dafür darf man aber nicht schweigen, sondern muss es nach außen tragen.“
APOTHEKE ADHOC Debatte