Im Rückblick auf die vergangene Welt-Antibiotika-Woche spielen vor allem zunehmende Antibiotikaresistenzen eine zentrale Rolle. Birgit Gnadl bewirtschaftet mit ihrer Familie einen modernen Bio-Milchviehbetrieb im Chiemgau, der seit 22 Jahren ohne Antibiotika auskommt. In einem Interview mit dem Bundesverband Patienten für Homöopathie (BPH) spricht sie über die Hintergründe und Möglichkeiten.
Gnadl ist Tierheilpraktikerin, landwirtschaftliche Beraterin, Dozentin und Beirätin für ganzheitliche Tiergesundheit: Sie berät Verbände wie Bioland, Naturland und Demeter, sowie verschiedene bekannte Molkereien. Außerdem ist sie für eine Vielzahl von Landwirtschaftsämtern und -kammern in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig und unterrichtet den Schwerpunkt „Ganzheitliche Tiergesundheit mit Homöopathie“ in Landwirtschaftsschulen. Ihr eigener Milchviehbetrieb mit 45 Kühlen stellt eine Besonderheit dar: Seit 22 Jahren ist er antibiotikafrei. „Wir können sowohl bei akuten als auch bei chronischen Erkrankungen Antibiotika durch Homöopathie ersetzen“, erklärt Gnadl im BPH-Interview. Mindestens auf die Hälfte der üblichen Gaben, wenn nicht noch mehr, könne sie verzichten, schätzt sie.
In Baden Württemberg werden Homöopathie-Seminare im Zuge der Öko-Förderung seit vielen Jahren staatlich gefördert. Die homöopathisch arbeitenden Landwirte sind überwiegend Milchviehhalter – das Interessante: Etwa 80 Prozent der homöopathisch therapierenden Landwirte wirtschaften konventionell, nur 20 Prozent sind Biobetriebe. In Gnadls Betrieb werden die Kühe mit homöopathischen Einzelmitteln behandelt. Seit sechs Jahren werden die Homöopathika teilweise sogar über den Melkroboter mit Hilfe des eines Sprühsystems den Kühen direkt auf die Nase gesprüht. Dadurch sei der „Placebo by Proxy-Effekt“ – also Placebo durch Zuwendung – ausgeschlossen, sagt Gnadl.
Behandelt werden mit den homöopathischen Mitteln alle täglichen Wehwechen und Krankheiten – entweder eigenständig oder nach Rücksprache mit dem Hoftierarzt. Neben der Geburtseinleitung werden so auch akute und chronische Euterentzündungen, Kälberdurchfall, Fruchtbarkeitsprobleme, Klauen- und Gelenksprobleme und vieles mehr behandelt. Auch im Bereich Virus- und Infektionskrankeiten, wo ansonsten keine konventionellen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, setzt Gnadl auf die Möglichkeiten der Homöopathie: Unter anderem bei bakteriell ausgelösten Geschlechtskrankheiten wie Clamydien-Infektionen, Staphylokokken-Infektionen und Rota-corona-Durchfällen.
Gnadl zufolge können Landwirte bei der Behandlung der Tiere Antibiotika durch Homöopathie ersetzen: Das sei möglich und werde seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert. „Wir können sowohl bei akuten als auch bei chronischen Erkrankungen Antibiotika durch Homöopathie deutlich reduzieren.“ Der Krankheitsverlauf beim Einsatz von Homöopathika sei vor allem bei akuten Fällen wie der Rindergrippe oder einer Mastitis meist besser als bei konventionellen Therapien. „Die Eigenregulation der Tiere bleibt deutlich besser erhalten und es zeigt sich eine sehr gute Rekonvaleszenz, zudem gibt es kaum Rückfälle“, erklärt sie. Chronische Erkrankungen könnten im Nutztierbereich erfahrungsgemäß sogar nur mit Homöopathie geheilt werden: Chronische Mastitiden, Saugstörungen bei Kälbern oder Verhaltensstörungen und antibiotikaresistente Fälle werden bei ihr teilweise ausschließlich mit Homöopathie behandelt.
Zum Einsatz kommen nur apothekenpflichtige, für das Tier zugelassene Homöopathika. „Im Vergleich zum Einsatz konventioneller Medizin ist die Homöopathie gerade am Anfang etwas aufwändiger“, erklärt Gnadl. Wie oft die Arzneigabe erfolgt, richte sich dabei nach der Erkrankung: „Manche akute Behandlungen bedürfen mehrerer Arzneigaben, bei anderen Behandlungen ist eine einmalige Gabe ausreichend.“ Nach mehreren Jahren würden sich die Behandlungen durch die erlangte Gesundheitsstabilität im Bestand jedoch merklich reduzieren: Auswertungen zufolge könne im ersten Jahr eine durchschnittliche Antibiotika-Reduktion von 20 Prozent erfolgen, nach drei Jahren seien es sogar rund 80 Prozent.
Gnadl schildert einen Fall aus der Praxis: Im November hatte ein neugeborenes Kalb Probleme beim Saugen. Es entwickelte eine Hirnrinden-Nekrose, welche nach Konsultation des Tierarztes diagnostiziert und sofort – aber erfolglos – mit einer Antibiose behandelt wurde. Vom Tierarzt wurde schließlich die Euthanasie in Erwägung gezogen. Gnadl behandelte das Kalb jedoch mit dem homöopathischen Mittel Cicuta virosa C200 – dem Wasserschierling – in einer zweimaligen Gabe. Innerhalb weniger Tage sei das Kalb soweit genesen, dass es umherlaufen konnte. „Das Kalb wird derzeit noch weiterbehandelt, die Antibiose hatte als Nebenwirkung verdickte Karpalgelenke ausgelöst.“
Ihre Beratung werde von den Landwirten gut angenommen: „Landwirte wollen sich bewusst und vermehrt selber mit den Problemen im Stall auseinandersetzen“, erklärt Gnadl. Nutztierärzte würden kaum Homöopathie anwenden. Der Hof-Tierarzt habe zudem häufig nicht die Zeit auf mögliche Ursachen einzugehen. Die Kenntnisse zur Homöopathie eignen sich Landwirte und Bäuerinnen dann in Seminaren an. Die Bereitschaft zur Fortbildung sei trotz der hohen Belastung der Landwirte sehr gut. „Das Interesse für Homöopathie-Seminare steigt stetig, derzeit haben wir etwa 2500 Kursanmeldungen jährlich, alleine in Deutschland.“ Ähnliche Seminare werden auch für Apothekenpersonal angeboten: Im vergangen Jahr hielt sie in 26 Apotheken Vorträge zur ganzheitlichen Tierheilkunde.
Der Grund für die Anwendung von Homöopathie sei oft der Gleiche: „Wenn nichts mehr wirkt und dir die Tiere samt dem Tierarzt wegsterben, dann musst` was ändern.“ Trotz intensiver tierärztlicher Behandlungen sterben viele Tiere – auch aufgrund von Resistenzen. Hinzu komme der inzwischen immer häufiger werdende Tierarztmangel. Gnadl zufolge gibt es homöopathisch arbeitende Betriebe, die jahrelang keine Antibiose brauchen. „Eine Euterentzündung bei einer Kuh kostet im Normalfall etwa 350 bis 500 Euro. Hier sind die Behandlungen und der daraus entstehende Milchverlust mit eingerechnet.“ Verwende der Landwirt homöopathische Mittel, koste ihn das etwa 7 Euro. „Und er wird die Milch ohne Bedenken an seine Kälber verfüttern können.“ Denn an die Molkerei wird diese Milch nicht geliefert: Krankhaft veränderte Zellen, die durch die Entzündung entstehen und in der Milch messbar sind, dürfen nicht in die Konsummilch gelangen.
„Jährlich gibt es etwa 500 Millionen Liter Antibiotikamilch in Deutschland“, erklärt Gnadl. Diese „Hemmstoff-Milch“ können Landwirte nicht gesondert oder sicher entsorgen. „Es ist nicht geregelt und es erfolgt auch seitens der Politik keine Vorgabe oder Kontrolle“, erklärt sie. Gängige Praxis sei daher, diese mit Antibiotika belastete Milch an Kälber zu verfüttern oder in die Umwelt, etwa mit der Gülle auf die Felder zu entsorgen. Die offizielle Empfehlung lautet eigentlich: „Antibiotikamilch soll durch konzentriertes Verschütten ins Erdreich entsorgt werden.“ Da es vor Ort jedoch zu einer starken Geruchsbelastung kommt und auch der finanzielle Wert der entsorgten Milch etwa bei 6500 Euro pro Betrieb liegt, wird diese Empfehlung meist nicht umgesetzt. „Wenn man bedenkt, dass ein Landwirt für ein männliches Holstein Kalb nur etwa 8,50 Euro bekommt, dann ist diese Vorgehensweise nicht verwunderlich“,gibt Gnadl zu bedenken. Landwirte hätten also bisher keine andere Möglichkeit diesen „Sondermüll“ zu entsorgen.
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