Mit 77 Jahren verabschiedet sich Inhaber Günter Nagel aus seiner Apotheke. Weil er keinen Nachfolger finden konnte, schloss er die Türen seiner Amts-Apotheke in Michelbach Ende Oktober vergangenen Jahres endgültig ab. Doch Monate später geschah etwas, was der Pharmazeut als ein Wunder bezeichnet: Apothekerin Ailika Martina Walzog entschloss sich, die kleine Landapotheke zu übernehmen.
Die Amts-Apotheke wird wieder eröffnet. Die Michelsbacher hätten sich zunächst kaum getraut, sich über diese Nachricht zu freuen. Denn die Türen „ihrer“ Apotheke waren schon seit rund vier Monaten geschlossen. Anlässlich der Wiedereröffnung am 1. März seien viele vorbeigekommen, um die neue Apothekerin persönlich zu begrüßen, berichtet Walzog. „Alle begegnen mir wirklich herzlich und versichern, dass sie alles dafür tun werden, dass ich hier bleiben kann“, berichtet sie.
Der ehemalige Inhaber hatte sage und schreibe vier Jahre lang vergeblich nach einem Nachfolger gesucht, bevor er die Traditionsapotheke Ende Oktober schweren Herzens schloss. 20 bis 30 Interessenten habe er in dieser Zeit durch die Apotheke geführt. Einige Apothekerinnen hätten sich ein Arbeitsleben in der Landapotheke durchaus vorstellen können, berichtete er, aber die dazugehörigen Familien nicht.
„Die Apotheke ist wirtschaftlich so groß, dass man gut davon leben kann, aber nicht groß genug, um sie als Filiale in einen großen Verbund zu integrieren“, sagte Nagel kurz vor der Schließung dem Wiesbadener Kurier. „Wer hier raus geht“, so der Pharmazeut „trägt das Risiko, wie lange es hier draußen noch Ärzte gibt.“ Doch jetzt ist der Apotheker überglücklich: „Das ist doch wirklich wie im Märchen“, sagte er dem Lokalblatt. „Da sucht man vier Jahre lang und dann geht es so schnell.“
Tatsächlich habe sie sich am Ende spontan entschlossen, es mit der Filiale in Michelbach zu probieren, sagt Walzog, die im benachbarten Hünstetten die Wallbach-Apotheke führt. Dass Nagel einen Nachfolger suchte, hatte sie natürlich schon früher erfahren. Doch während der Sanierung der Wallbacher Ortsdurchfahrt unter Vollsperrung der Straße, in der sich ihre Apotheke befinde, habe ihr nicht der Sinn nach weiteren Abenteuern gestanden, sagt die 54-Jährige.
Erst ein Jahr zuvor hat die Pharmazeutin die Wallbach-Apotheke übernommen. Mit den Bauarbeiten vor ihrer Tür musste sie sich ziemlich genau ein Jahr lang herumschlagen. „Da wollte ich kein zusätzliches finanzielles Risiko eingehen“, sagt Walzog. „Wir sind froh, dass wir das überstanden haben.“ Erst im Dezember habe ein Anruf einer früheren Mitarbeiterin das Thema Amts-Apotheke wieder ins Bewusstsein gerufen. „Sie hat berichtet, dass die Apotheke vor Ort schmerzlich vermisst wird“, erinnert sich Walzog. Das sei ihr nicht aus dem Kopf gegangen. Deshalb ist die Apothekerin spontan nach Michelbach gefahren und hat sich die Apotheke angeschaut.
„Bevor ich mich aber endgültig für die Übernahme entschieden habe, habe ich mit meinem Team gesprochen“, sagt sie. Es sei entscheidend gewesen, dass ihre Mitarbeiterinnen mitgezogen hätten und dass der Großteil des Mobiliars noch im Haus gewesen sei, das Walzog inzwischen von Nagel erworben hat. Auch sonst habe sie von allen Seiten nur Unterstützung erfahren.
Derzeit beschäftigt Walzog in der Wallbach-Apotheke sechs Mitarbeiterinnen. Zwei davon werden künftig für die Michelbacher Kundschaft vor Ort sein. Die Chefin, die neben der Approbation als Apothekerin auch eine Naturheilkunde-Ausbildung hat, will zwischen den beiden Apotheken pendeln. Walzog wird die sechste Apothekerin in dem historischen Gebäude sein. Am 1. Mai 1827 hatte der geprüfte Kandidat der Pharmazie, Nicolais Kayhser aus Laufenselden, dort die Amts-Apotheke eröffnet. In knapp zwei Monaten kann die neue Eigentümerin nun den 190. Geburtstag der Traditionsapotheke feiern.
APOTHEKE ADHOC Debatte