Notfall während Corona

Helgoland: Apotheker darf Flugzeug chartern Lothar Klein, 17.05.2020 07:44 Uhr

Berlin - 

Seit zwei Monaten ist es sehr ruhig geworden auf Helgoland. Seit dem Shutdown der Bundesregierung kommen keine Touristen mehr auf die rote Steininsel in der Nordsee. „Ich habe 60 Prozent meiner Kunden verloren“, berichtet Apotheker Carsten Hase von der Insel-Apotheke. An normalen Tagen kommen auch im Winter viele Tagesgäste nach Helgoland. Ab nächster Woche hofft Hase wieder auf mehr Betrieb. Dann fallen in Schleswig-Holstein die Reisebeschränkungen.

Seit März ist der Fährverkehr nach Helgoland stark eingeschränkt. Nur noch zweimal die Woche legt ein Schiff vom Festland an. Touristen bringt es keine, aber für Hase kommt damit der Arzneimittelnachschub: „Seit dem Shut-down muss ich meinen Arzneimittelvorrat viel besser planen“, so der Apotheker. Er hat sein Lager hochgefahren – um 40 Prozent, um die 1400 Inselbewohner zu versorgen. Genügend Raum sei dafür in seiner Apotheke vorhanden.

Sollte es einmal einen medizinischen Notfall auf Helgoland geben und dringend ein Arzneimittel herbeigeschafft werden müssen, hat Hase mit der Gemeinde einen Deal gemacht: Für 1200 Euro darf er dann ein Kleinflugzeug chartern und das Arzneimittel auf die Insel fliegen lassen. Die Kosten trägt die Gemeindekasse. Vorgekommen ist das bisher nicht. Vermutlich wird das auch künftig nicht erforderlich sein. Denn ab nächster Woche lockert Schleswig-Holstein die Reisebeschränkungen. Hotels dürfen wieder öffnen und die Fähren wieder Helgoland anlaufen.

Die Reederei hat bereits angekündigt, die Insel montags, mittwochs und freitags anzufahren. Und aus Hamburg hofft Hase auf den Katamaran mit 800 Personen Kapazität. Wie viele Gäste aber tatsächlich kommen, weiß Apotheker Hase nicht. Denn das Kleingedruckte der Lockerungsbestimmungen ist noch nicht bekannt: Wie viele Gäste können die Fähren aufgrund der Abstandregeln aufnehmen? Lohnt sich dann der Fährverkehr überhaupt? Auch die Hotelbetreiber auf Helgoland wissen noch nicht, wie viele Betten sie belegen dürfen, wie sie mit den Abstandsregeln umgehen müssen. Die Verordnung mit allen Details der Lockerungen soll erst am Samstag kommen. Ab Montag darf geöffnet werden – viel Zeit bleibt also nicht.

 

„Ich jammere auf hohem Niveau“, räumt Apotheker Hase ein, der seit sieben Jahren die Insel-Apotheke betreibt. Denn der Nacht- und Notdienstfonds finanziert den Grundumsatz seiner Apotheke. Sieben Nächte die Woche schiebt Hase Nachtdienst. Aber: „Das ist kein geschenktes Geld“, sagt Hase: „Ich habe 365 Tage Dienst, muss immer das Handy griffbereit haben. Das ist schon eine erhebliche Belastung.“ Nicht mal schwimmen gehen oder „mit meiner Frau kuscheln“ könne er, ohne dass er ein Auge auf sein Handy habe. Und wenn er mal ins Restaurant gehen wolle, müsse er sich bei der Auswahl nach dem Handyempfang richten. „Es gibt eine ganze Menge Einschränkungen“, so Hase. Deutlich schwerer als die permanente Erreichbarkeit fällt dem Apotheker der Verlust von Spontanität: „Ich kann nicht einfach mal für ein paar Tage verreisen oder nur zum Einkaufen aufs Festland fahren.“ Alles müsse gut und langfristig vorbereitet und vor allem ein Vertreter gefunden werden.

Eine Statistik geführt über seine tatsächlichen Einsätze im Nacht- und Notdienst hat Hase nicht – aber eine gefühlte Einschätzung: „In der Mittagszeit werde ich häufig gestört“, berichtet der Apotheker. Und abends zwischen 18 und 20 Uhr. „Dann kommen viele Bewohner von ihrer Arbeit auf See nach Hause und klingeln bei mir“, erzählt Hase, der über der Apotheke wohnt: „Jeder weiß ja, dass ich zu Hause bin.“ Dass er nachts raus müsse, komme eher selten vor. Hase sagt: „Ich habe mich arrangiert mit der ständigen Erreichbarkeit.“

Seinen Umzug auf die Insel hat er nicht bereut: „Überhaupt nicht, ich finde das toll hier. Das Leben ist entspannter, nicht so hektisch.“ Dieser Annehmlichkeit steht die durchgängige Abrufbereitschaft gegenüber. Der nächtliche Notdienst verlangt, zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens in der Apotheke Volldienst zu leisten. Das bedeute „24 Stunden pro Tag, 365 Tage im Jahr Dienst – und das Handy immer mit unter die Dusche nehmen“, so der Apotheker.