Russland-Teilnahme: IOC in der Kritik dpa, 26.07.2016 11:30 Uhr
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) steht wegen der Starterlaubnis für Russlands Mannschaft bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro am Pranger. Mit Unverständnis reagierten Funktionäre, Sportler und Doping-Fahnder auf die Entscheidung der IOC-Spitze um Präsident Thomas Bach, der Sportgroßmacht trotz nachgewiesenen Staatsdopings den Weg zu den ersten Olympischen Spielen in Südamerika zu ebnen.
Beifall kam aus Moskau von höchster Stelle. Kremlchef Wladimir Putin begrüßte die Starterlaubnis. Nun müsse Russland noch enger mit dem IOC und weiteren Organisationen zusammenarbeiten, „um die Folgen des Dopingskandals zu beseitigen“, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Montag. Der russische Präsident plane keinen Besuch der Eröffnungsfeier am 5. August.
Die Athletenkommission im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) reagierte enttäuscht auf die IOC-Entscheidung. „Wir bewerten es als vertane Chance“, dass das (…) bewiesene, staatlich initiierte, gelenkte und geschützte Dopingsystem in Russland nicht zu einem Ausschluss des russischen NOKs von den Spielen in Rio geführt hat“, hieß es in einer am Montag veröffentlichten Mitteilung.
Als Entgegenkommen gab das Nationale Olympische Komitee Russlands bekannt, dass die Doping-Sünderin Julija Jefimowa, Olympia-Dritte von 2012, sowie sechs weitere Schwimmer nicht nach Rio fahren. Bei der viermaligen Schwimm-Weltmeisterin Jefimowa sei der Grund die Doping-Sperre von 2013 bis 2015, sagte NOK-Chef Alexander Schukow. Insgesamt erwarte das NOK, dass „mehr als acht“ russische Sportler nicht nach Rio fahren dürfen.
Der Schwimm-Weltverband FINA verwehrte weiteren sechs Russen die Teilnahme. Zu den vier von Russland bereits zurückgezogenen Schwimmern kommen drei Athleten, die im McLaren-Report der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) genannt werden. Unter ihnen ist Nikita Lobinzew, einer von Paul Biedermanns Konkurrenten über 200 Meter Freistil.
Fünf russische Reiter hingegen dürfen an den Olympischen Spielen in Rio teilnehmen. „So lange es keinen Befund gegen einen einzelnen Reiter gibt, sehe ich absolut keinen Grund, warum russische Pferdesportler nicht reiten sollten“, sagte Ingmar De Vos, Präsident des Weltverbandes FEI, am Montag. Aufgrund der 4000 Proben, die jedes Jahr genommen werden, sei kein organisiertes Doping des russischen Pferdesports erkennbar.
Von den 31 Fällen, die derzeit von der FEI aus den Jahren 2013 bis 2016 bearbeitet werden, sei kein russischer Reiter betroffen. Qualifiziert für Rio sind zwei Dressurreiterinnen und drei Paare in der Vielseitigkeit.
Das IOC hatte am Sonntag keinen kompletten Ausschluss Russlands von den Spielen beschlossen, sondern strikte Auflagen für einen Start russischer Sportler in Rio. Der Beschluss überging eine Empfehlung der WADA, die in dem McLaren-Report staatlich angeordnetes Doping dokumentiert hatte.
Entsprechend mit Unverständnis kommentierte die WADA den IOC-Beschluss. „Die WADA ist enttäuscht, dass das IOC nicht dem Rat des WADA-Exekutiv-Komitees gefolgt ist (...)“, hieß es in einer Erklärung des Präsidenten Craig Reedie.
Auch Matthias Kamber, der oberste Schweizer Doping-Fahnder, verhehlte seine Enttäuschung nicht. „Der Entscheid des IOC ist ein großer Rückschritt für saubere Athletinnen und Athleten wie auch für Whistleblower“, sagte er Nachrichtenagentur sda. Diese müssten sich nun betrogen vorkommen.
Basketball-Superstar Dirk Nowitzki begrüßte die Start-Möglichkeit für saubere Athleten dagegen. „Du kannst einem russischen Athleten, der immer alles sauber gemacht hat, der seit vier Jahren oder sein ganzes Leben auf diesen Moment hinarbeitet, nicht einfach seinen Traum zerstören“, sagte Nowitzki am Rande eines Auftritts in Zeulenroda.
Die Weltpresse attackierte Bach und das IOC hart. „Ein Kniefall vor der Sportmacht“, titelte beispielsweise der Wiener „Kurier“. Die spanische Sportzeitung „Marca“ formulierte: „Das IOC hisst die Fahne Russlands. Alle Forderungen nach einer drastischen Position wurden überhört.“ Noch heftiger wird die italienische „Tuttosport“: „Es gewinnt Putin. Was für ein Rückschritt!“
Das IOC hatte – nach dem Ausschluss russischer Leichtathleten – strikte Auflagen für eine Teilnahme von Sportlern anderer Disziplinen beschlossen. Bei einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur erklärten mehrere Vertreter aus Fachverbänden, dass sie nun unter enormem Zeitdruck stünden. „Die Situation ist misslich. Wir müssen innerhalb kürzester Zeit darüber befinden, ob die drei für Rio qualifizierten russischen Tischtennis-Spieler sauber sind“, sagte stellvertretend der deutsche Präsident des Weltverbandes ITTF, Thomas Weikert.
Gelassener reagierten andere Verbände. Alle sieben russischen Nominierten seien „Teil eines rigorosen Anti-Doping-Programms außerhalb ihres Landes“, teilte der Tennis-Weltverband ITF mit und will allen Athleten in Rio den Start ermöglichen. Superstar Maria Scharapowa war zuvor wegen Meldonium-Missbrauchs gesperrt worden und ist in Rio nicht dabei.
Einen anderen Aspekt hob der deutsche Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop hervor. Er hält die IOC-Entscheidung, ehemalige russische Doping-Sünder generell nicht starten zu lassen, für rechtswidrig. „Frühere Doper aus Russland nicht an den Sommerspielen teilnehmen zu lassen, ist eine Verletzung der Rechtssprechung des CAS und des Gleichheitsprinzips“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur unter Bezug auf das sogenannte Osaka-Urteil.
Der Internationale Sport-Gerichtshof CAS hatte vor fünf Jahren die 2008 vom IOC eingeführte Osaka-Regel, der zufolge Athleten nach einer mehr als sechsmonatigen Doping-Sperre nicht an den darauffolgenden Olympischen Spielen teilnehmen dürfen, für ungültig erklärt.