Während andere über die Sinnhaftigkeit von Placebo-Globuli diskutieren, stelle ich nachts in der Apotheke Homöopathika her. Mein erster Notdienst im neuen Jahr.
Meine erste Kundin gibt mir ein Kassenrezept durch die Klappe: Gelsemium D6. Doch leider schon ausverkauft. „Haben wir leider nicht mehr da“, sage ich ihr, bestellen könnten wir es. „Sie sind doch Apothekerin, das können Sie doch auch selbst herstellen“. Die Dame braucht die Globuli dringend, ihre Schmerzen seien nicht mehr auszuhalten.
Rosa Rezept, das bedeutet Kontrahierungszwang. Also mache ich mich auf den Weg zum Regal. Irgendwo zwischen den Nachschlagewerken finde ich die Bibel der Apotheker: das Homöopathische Arzneibuch HAB und das Homöopathische Rezeptur-Formularium. Zwar etwas verstaubt, aber an ihrer Schönheit nichts verloren.
Zu Studienzeiten konnten wir uns intensiv damit beschäftigen und eine Dilution nach der anderen herstellen. Die gefährlichen C 200-Potenzen haben wir damals Schritt für Schritt potenziert. Heute bestellen wir ja alles beim Großhändler und müssen beim Umgang mit diesem Gefahrstoff sehr vorsichtig sein. Diese Präparate dürfen auch nur unter Aufsicht des Heilpraktikers eingenommen werden, da sie zu riskant sind. So zumindest empfehlen wir es den Patienten.
Schnell werde ich fündig. Ich verschüttele und verdünne mit bestem Wissen und Gewissen. Denn eine alleinige Verdünnung ohne Verschütteln reicht nicht aus, um die Arzneikraft zu entfalten. Bei jedem Potenzierungsschritt verwende ich in neues Gefäß – gemäß der Vorgabe des HAB. Ich spüre, wie sich höhere Energielevels bilden.
Das Telefon muss mehrmals geklingelt haben, als ich schweißgebadet aufwache. „Max, steh auf! Die Apotheke ist von bösen Geistern belagert!“ „Hast du was vom BtM-Schrank genommen?“, fragt er. „Der Spuk der Homöopathie hat mein Unterbewusstsein in Beschlag genommen“, sage ich. „Ich habe Globuli im Notdienst hergestellt und das noch zulasten der Krankenkasse! Ich kam mir vor wie bei Harry Potter und habe gegen die böse Schulmedizin gekämpft. Ich konnte außerdem die Plausibilitätsprüfung für die Rezeptur zaubern, für die Herstellung musste ich mich aber strikt am HAB orientieren. Dazu bekam ich noch 10 Euro Notdienstgebühr, unglaublich!“ Max? Max?? Max??? Ich glaube, er nimmt mich nicht mehr Ernst. Er ist wieder eingeschlafen.
Ich hole mir eine Urtinktur von Dihydrogenmonoxid und begebe mich dann zum Bücherregal. Das HAB steht dort aufrecht und selbstbewusst. Und ich frage mich nur: Warum muss ich als Naturwissenschaftlerin dieses Buch in der Apotheke haben?
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