Contergan-Skandal

Grünenthal hatte Verbindung zu Conterganstiftung dpa/APOTHEKE ADHOC, 12.04.2018 16:02 Uhr

Der Conterganhersteller Grünenthal war tatsächlich mit der Stiftung für die Opfer seines Arzneimittels verbunden und hatte dadurch Zugriff auf die medizinischen Akten der Opfer. Foto: Dieter Dosquet
Berlin - 

Für die Opfer ist es ein Skandal: Zwischen dem Conterganhersteller Grünenthal und der Conterganstiftung gab es laut einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln Verflechtungen. Der Hersteller des Schlafmittels, durch das rund 5000 Kinder mit schweren Missbildungen an Armen und Beinen auf die Welt kamen, habe Zugriff auf die medizinischen Akten der Opfer gehabt, stellte das Gericht fest. Seit Jahren schwelt zwischen den Beteiligten ein Streit in dieser Frage.

Der Contergangeschädigte Andreas Meyer, der wegen kurzer Arme und Beine auf Rollstuhl und Hilfe angewiesen ist, hatte das immer wieder gesagt - auch 2013 als Sachverständiger im Familienausschuss des Bundestags.

Der damalige Stiftungsvorstand wehrte sich und schrieb daraufhin einen Brief an alle Mitglieder des Ausschusses, Meyers Behauptungen seien nicht wahr. Das Oberlandesgericht Köln entschied nun in dem Zivilverfahren, dass Meyer die Wahrheit gesagt hat. Der frühere Stiftungsvorstand darf das Gegenteil unter Androhung einer hohen Geldbuße nicht mehr sagen.

Nach Entscheidung der Richter gab es die Verflechtungen zwischen Unternehmen und der Stiftung, die Renten aus Steuermitteln an die Opfer auszahlt. Der damalige Grünenthal-Anwalt sei von 1972 bis 2003 auch Leiter der medizinischen Kommission der Stiftung gewesen und habe Zugriff auf die Akten gehabt. Ein Mitarbeiter von Grünenthal habe ihm in seiner Stiftungsfunktion zugearbeitet.

Außerdem zahlte das Unternehmen der Stiftung laut Gericht eine jährliche Pauschale für die Arbeit der medizinischen Kommission. Diese Kommission spiele bei der Anerkennung als Conterganopfer eine wichtige Rolle, sagte Meyer, der für die Opferverbände im Stiftungsrat sitzt. Revision gegen die Entscheidung ist nicht zugelassen.

Der beklagte frühere Stiftungsvorstand hatte argumentiert, es habe umfassende Vorkehrungen gegeben, damit keine Informationen an Grünenthal gelangten - trotz der Doppelrolle des Grünenthal-Anwalts und der Zuarbeit des Grünenthal-Mitarbeiters. Außerdem seien die Gutachter von der Conterganstiftung und nicht von Grünenthal bezahlt worden.

Die Conterganstiftung zahlt von ihr anerkannten Conterganopfern Renten aus Steuermitteln. Die Stiftung steht unter Rechtsaufsicht des Bundesfamilienministeriums.

Andreas Meyer sieht nach dem Urteil nun die Politik in der Pflicht: „Die Bundesregierung muss uns erklären, warum Grünenthal eine so herausragende Rolle in der Stiftung spielte.“ Mit dem Conterganstiftungsgesetz 1972 hatten deutsche Opfer keine Möglichkeit mehr, gegen Grünenthal zu klagen.

Viele Opfer sprechen noch heute von Entrechtung, deren Fortsetzung sie im Zuschnitt der Stiftung sehen: Die Betroffenenvertreter seien im Stiftungsrat in der Minderheit und könnten die Interessen der Conterganopfer gegen die Mehrheit der Ministerialvertreter nicht durchsetzen, kritisierte Meyer.

Nach den heute geltenden Richtlinien des Unternehmens wäre eine solche Doppelrolle wie die des Grünenthal-Anwalts nicht mehr möglich, teilte das Unternehmen am Donnerstag mit. «Aus diesem Bewusstsein heraus» habe man 2014 alle Unterlagen, die sich durch die Arbeit des Anwalts im Unternehmensarchiv befunden hätten, an die Conterganstiftung übergeben.