Die Gemeinde Borsdorf in Sachsen hatte eine schlaue Idee: Statt auf Investoren zu warten, kaufte sie den schönen alten Bahnhof einfach selbst. Die erste Mieterin ist Apothekerin Madlen Andrae.
Der Bahnhof vor den Toren Leipzigs ist noch in Betrieb, hier fährt die S-Bahn, aber die braucht im 21. Jahrhundert keinen großen Bahnhof mehr. Da reichen Ticketautomat und Wartehäuschen aus. Die Deutsche Bahn wollte das Bahnhofsgebäude, wie so viele bundesweit, loswerden. 2008 kaufte die Gemeinde die Immobilie, erbaut 1904, für 100.000 Euro. Seitdem wurde renoviert, das Gebäude steht unter Denkmalschutz.
„Vor ein paar Jahren kam die Stadt auf mich zu und fragte, ob ich Interesse hätte“, erzählt Andrae. Sie hatte, denn sie brauchte mehr Platz: „Bei uns war es beengt, deshalb entschieden wir uns für den neuen Standort.“ Ein weiterer Vorteil: Die neue Apotheke hat einen barrierefreien Zugang.
Gerade ist sie mit ihrer Apotheke umgezogen. Nur ein paar Straßen ist die alte Adresse entfernt. Die neuen Räume sind schöner, größer, draußen fahren die S-Bahnen vorüber. Die 35 Jahre alten Möbel wurden weitgehend entsorgt. In der Offizin ist nun alles schick und neu in fröhlichem Grün. Die Apothekerin investierte rund 100.000 Euro. „Die Offizin ist komplett neu, das Labor haben wir aus der alten Apotheke mitgenommen.“
Die Kunden freuen sich mit der Apothekerin: „Sie haben den Umzug sehr positiv aufgenommen. Viele freuen sich, dass das schöne alte Gebäude nicht verfällt und sind froh, dass sie ‚ihren‘ Bahnhof wieder nutzen können.“ Viele Borsdorfer sind neugierig: „Sie kommen vorbei und schauen einfach mal zu uns herein“, sagt Andrae, „wir haben jetzt mehr Platz und auch eine Beratungskabine. Vorher war Diskretion kaum noch möglich.“
Auch die sechs Mitarbeiter sind zufrieden. Nur ein paar Nachbarn wären schön. „Später soll noch die Post einziehen, auch eine Physiotherapie und ein Bäcker sind geplant. Wir sind die ersten Mieter, das ganze Haus soll wiederbelebt werden.“ Ein paar Monate noch, dann kommen neue Nachbarn in den Bahnhof Borsdorf. „2018 soll der nächste Bauabschnitt starten“, sagt sie. Im Obergeschoss gibt es Wohnungen, im Erdgeschoss noch viel Platz für neue Nachbarn.
Die Selbstständigkeit macht der 42-Jährigen Freude: „Ich wusste immer, dass ich eine eigene Apotheke haben möchte. Man kann selbst Entscheidungen treffen. Allerdings glaube ich, dass ich aus heutiger Sicht den Schritt nicht mehr wagen würde. Die politischen Vorgaben sind komplett anders als vor 15 Jahren. Man ist nicht mehr nur Apotheker, sonder mehr und mehr Kaufmann. Und man hat sehr wenig Zeit für pharmazeutische Tätigkeiten.“
Nach dem Pharmaziestudium in Halle/Saale ging sie ein halbes Jahr nach England: „Dort habe ich in einer Krankenhausapotheke gearbeitet, mein Mann machte damals ein Auslandssemester.“ Zurück in Deutschland übernahm sie 2002 ihre alte Apotheke. „Ich habe eine Anzeige gelesen, die Vorgängerin ging in Rente und suchte jemanden. Ich dachte mir, ich bewerbe mich einfach mal, dann ging alles recht schnell.“ Die Vorzüge der Selbstständigkeit beschreibt die dreifache Mutter so: „Man hat mit vielen Menschen Kontakt. Borsdorf hat rund 8000 Einwohner, ist zwar eine Kleinstadt, aber fast dörflich. Wir haben viele Stammkunden.“
Die Deutsche Bahn hat einige Immobilien im Angebot, die sich für eine Bahnhofs-Apotheke eignen würden. In Sangerhausen in Sachsen-Anhalt zum Beispiel steht das ehemalige Empfangsgebäude des Bahnhofs im Ortsteil Riestedt leer. Baujahr 1904, sanierungsbedürftig, Kaufpreis: 1000 Euro.
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