Patientenbrief gegen Ärztelatein Maria Hendrischke, 31.03.2016 12:30 Uhr
Mit ihrem Arztbrief nach einem Krankenhausaufenthalt können viele Patienten nichts anfangen – weil sie das Mediziner-Latein nicht verstehen. An einer Klinik in Rheinland-Pfalz bekommen Patienten daher zusätzlich eine ausführliche Erklärung zu ihrer Diagnose – einen Patientenbrief. Dahinter steckt der Verein „Was hab' ich?“, bei dem ehrenamtlich arbeitende Mediziner Arztbefunde in einfache Sprache übersetzen.
Auch wenn Ärzte glaubten, dass sie sich verständlich ausdrückten, würden Patienten ihre Befunde oft nicht verstehen, so Ansgar Jonietz, Geschäftsführer von „Was hab' ich?“, bei der Digitalkonferenz VISION.A. Für den Onlinedienst erklären Medizinstudenten und Ärzte die Diagnosen. Da sie ehrenamtlich arbeiten, ist dieser Service für die Patienten kostenlos. Die Übersetzungen sind nicht nur von medizinischen Fachbegriffen befreit: „Wir verwenden eine einfache Sprache: aktive statt passive Verben und kurze Sätze“, sagt Jonietz.
Ihm zufolge hat das System zwei Vorteile: „Dem Patienten macht das Verstehen Mut, die eigene Therapie weiter zu verfolgen. Und die übersetzenden Mediziner lernen, sich besser mit Patienten zu verständigen.“ Noch gebe es zwar viele Ärzte im Berufsleben, die im Studium nie etwas von guter Kommunikation gehört hätten, aber das solle mit Kursen an verschiedenen Universitäten geändert werden. „Die Ärzte dahingehend auszubilden, ist nachhaltiger, als immer wieder Befunde zu übersetzen“, erklärt Jonietz.
Zu den neuesten Projekten von „Was hab' ich?“ gehört ein interaktives Glossar, in dem Patienten medizinische Informationen zu ihren Diagnosen abrufen können. „Es ist individueller als ein Lexikon, da es kontextbezogen Befunde übersetzt“, sagt Jonietz. Der Patient passt seine Übersetzung dadurch an, dass er die Art der Untersuchung eingrenzt. Finanziell unterstützt wird der „Befunddolmetscher“ von der Bertelsmann-Stiftung.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) fördert zudem ein von „Was hab' ich?“ im November 2015 initiiertes Pilotprojekt an einer Klinik in Rheinland-Pfalz. Dabei erhalten Patienten der internistischen Klinik bei der Entlassung eine leicht verständliche Form des Arztbriefs. Diese „Patientenbriefe“ werden teilautomatisiert aus Textbausteinen erstellt, die bestimmte Diagnosen sehr ausführlich erläutern. „Für ärztliche Kollegen wären die Informationen nicht komprimiert genug“, sagt Jonietz. Daher verzichte die Klinik bei der Entlassung nicht auf den Arztbrief.
Die Ärzte der Klinik würden den Brief positiv bewerten, berichtet Jonietz. „Für sie bedeutet er keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand, da sie den Patientenbrief nicht selbst schreiben müssen.“ So bliebe den Medizinern weiterhin Zeit, ihren Kernkompetenzen nachzugehen: „Und dazu gehört schließlich nicht das Schreiben von verständlichen Texten“, sagt Jonietz. Das Projekt soll ein Jahr laufen, währenddessen sollen etwa 2500 Briefe erstellt werden.
Mit dem Patientenbrief verfolgt „Was hab' ich?“ sein übergreifendes Ziel im größeren Maßstab: Patienten sollen so informiert sein, dass sie ihrem Arzt weiterführende Fragen stellen können. Jonietz zufolge wollen sich 73 Prozent der Patienten an Behandlungsentscheidungen beteiligen. Doch momentan würden Patienten bis zu 80 Prozent der Informationen aus dem Arztgespräch vergessen. Daher seien – auch für Angehörige – schriftliche Informationen zur Gesundheit wichtig.
Nur 41 Prozent der deutschen Patienten seien bereits „gesundheitskompetent“ und würden ihre ärztlichen Befunde ausreichend verstehen, habe eine Studie herausgefunden, so Jonietz. Der EU-Schnitt liege bei 54 Prozent. Gesundheitskompetenz umfasse zudem, sich im nationalen Gesundheitssystem zurechtzufinden oder selbstständig über Symptome zu informieren.
Eine geringere Gesundheitskompetenz ist problematisch: „Daraus folgt eine geringere Lebenserwartung, da die Patienten weniger Compliance zu ihren Therapien zeigen“, erklärt Jonietz. Einer Studie zufolge koste die mangelnde Therapietreue deutscher Patienten jährlich etwa 10 Milliarden Euro.
Ende Februar hatte die Initiative einen von Google gestifteten Preis in Höhe von 10.000 Euro gewonnen. Bei der Google Impact Challenge wurden digitale Projekte ausgezeichnet. „Was hab' ich?“ hatte sich mit E-Learning-basierten Kommunikationskursen für Medizinstudenten beworben. Über den Onlinedienst konnten seit der Gründung im Jahr 2011 mehr als 27.000 ärztliche Befunde übersetzt werden. Derzeit sind etwa 200 Übersetzer aktiv, wobei schon fast 1400 Mediziner ausgebildet wurden.