Gen-Babys: Manuskripte werfen Zweifel auf dpa/APOTHEKE ADHOC, 05.12.2019 14:04 Uhr
Im vergangenen Jahr hatten zwei angeblich gentechnisch veränderte Babys aus China viel Aufsehen erregt. Von ihnen und Forscher He Jiankui fehlt seitdem jede Spur. Nun stellen Experten, aufgrund von weiteren Hinweisen, die Behauptungen des Forschers in Frage.
Gut ein Jahr nach der Geburt der ersten angeblich genmanipulierten Babys in China zweifeln Experten den Erfolg des umstrittenen Eingriffs an. Sie hatten Manuskripte des verantwortlichen Forschers He Jiankui durchgesehen, die das Magazin „MIT Technology Review“ am Dienstag in Teilen veröffentlicht hatte. Diese belegten, dass He Jiankui mit seinem Vorgehen zahlreiche ethische und wissenschaftliche Normen verletzt habe. Die Manipulationen, die die beiden Babys vor einer Ansteckung mit HIV schützen sollten, seien zudem vermutlich nicht in beabsichtigter Weise erfolgreich gewesen.
He Jiankui hatte im November 2018 die Geburt der Zwillingsmädchen „Lulu“ und „Nana“ auf der Video-Plattform „Youtube“ bekanntgegeben. Der Forscher gab an, ihr Erbgut mit Hilfe der Genschere Crispr/Cas9 so manipuliert zu haben, dass sie vor einer Ansteckung mit HIV geschützt sind. He betonte, er habe zuvor erfolgreich Versuche an Mäusen und Affen durchführt. Bei den menschlichen Embryonen hatte er nach eigenen Angaben den sogenannten CCR5-Rezeptor von Zellen deaktiviert – das Haupteinfallstor für das HI-Virus. „Millionen Menschen“ könne geholfen werden, wenn die Technologie schneller verfügbar gemacht werde, argumentierte He. Ihm gehe es nicht um die Schaffung von Designer-Babys, sondern um Heilung von Krankheiten. Sein Vorgehen rief in der Fachwelt und der Öffentlichkeit große Empörung hervor.
Dennoch verteidigte der chinesische Forscher seine Arbeit. Zudem teilte er damals auf einem Genomforscher-Kongress in Hongkong mit, dass eine weitere Frau mit einem von ihm manipulierten Embryo im Frühstadium schwanger sei. Die Wissenschaft müsse mehr tun, um Menschen mit Krankheiten zu helfen, sagt He. Forscherkollegen kritisierten den Wissenschaftler heftig. He verschwand kurz darauf aus der Öffentlichkeit, es ist heute unklar, wo er sich befindet. Ebenso unklar ist, wie es den beiden Mädchen geht.
Die Manuskripte, die das „MIT Technology Review“ per E-Mail erhalten hatte, beschreiben das wissenschaftliche Vorgehen bei der Genmanipulation. Sie seien vermutlich von He zur Begutachtung bei wissenschaftlichen Fachjournalen eingereicht worden, wie das Magazin schreibt. Darin sei von einem „medizinischen Durchbruch“ die Rede, der eine „Kontrolle der HIV-Epidemie“ ermöglichen könne. Auch das Wort „Erfolg“ tauche häufig im Zusammenhang mit der „neuartigen Therapie“ auf. Belege dafür fehlten allerdings weitgehend, schreibt das Magazin. Es teilte nicht mit, woher es die Manuskripte hat.
Vier Experten, die die Manuskripte durchgesehen hatten, kommen zu dem Schluss, dass He Jiankui eine natürliche vor HIV schützende genetische Mutation in den Embryonen nicht wie behauptet nachgemacht hatte. Diese Behauptung sei eine „unverhohlene Falschdarstellung der tatsächlichen Daten und kann nur mit einem Begriff beschrieben werden – absichtliche Lüge“, urteilt Fyodor Urnov, Genwissenschaftler an der University of California, Berkeley. Nach Ansicht der Experten ist zudem nicht ausgeschlossen, dass die Manipulationen unbeabsichtigte Folgen in den Zellen gehabt haben, so genannte Off-Target-Effekte.
Ethisch problematisch sei auch, dass die Eltern womöglich aus falschen Gründen den Versuchen zugestimmt haben, so die Experten. Der Vater sei HIV-infiziert. In China sei dem Paar deshalb die ärztliche Behandlung von Unfruchtbarkeit verwehrt. Es sei denkbar, dass das Paar den Genmanipulationen nur zugestimmt habe, um eine solche Behandlung zu erhalten. Ein Schutz vor einer Ansteckung des Nachwuchses mit HIV über den Vater sei auch auf anderem Wege zu erreichen.