Genau ein Jahr ist die Geiselnahme in der Kölner Apotheke im Hauptbahnhof jetzt her, doch der Täter steht immer noch nicht vor Gericht. Denn ein Kopfschuss durch einen Polizisten machte ihn zum Pflegefall. Ob er jemals für seine Tat zur Verantwortung gezogen werden kann, ist nach wie vor offen.
Es waren dramatische Stunden am Kölner Hauptbahnhof: Am 15. Oktober 2018 zündete ein 55-jähriger Mann erst einen Molotow-Cocktail in einer McDonald’s-Filiale. Ein 14-jähriges Mädchen erlitt schwere Verbrennungen, konnte aber fliehen. Daraufhin stürmte der Mann von dem Fastfood-Restaurant in die benachbarte Apotheke und nahm eine Mitarbeiterin als Geisel. Er behielt sie stundenlang in seiner Gewalt, bedrohte sie massiv, versuchte sie anzuzünden. Erst der Zugriff der Sicherheitskräfte beendete das Drama: Mit einem Kopfschuss streckte ein Polizist den Täter nieder.
Der überlebt schwerverletzt, muss von Rettungskräften reanimiert werden. Er wird auf die Intensivstation gebracht, wo er im Koma liegt. Aus dem Koma ist er wieder erwacht, aber seitdem „vollständig pflegebedürftig und nicht in der Lage, sich selbstständig fortzubewegen“, wie das zuständige Gericht mitteilt. Nachdem er das Krankenhaus verlassen konnte, kam er in Untersuchungshaft – die wurde allerdings im Mai für sechs Monate unterbrochen, um ihn in eine neurologische Klinik zu bringen.
Dort sollte er in einen verhandlungsfähigen Zustand gebracht werden. „Das ist bislang noch nicht gelungen“, sagt der Kölner Staatsanwalt Ulrich Bremer. „Man ist bemüht, ihn in eine Reha zu bringen.“ Im November läuft die sechsmonatige Unterbrechung aus, dann müsste der Amokläufer wieder in Untersuchungshaft. Aufgrund seines Zustand könnte sich das aber weiter verschieben. Die Unterbrechung könne bei Bedarf verlängert werden, so Bremer. Ob man das bei Gericht beantragt, werde man kurzfristig entscheiden.
Bereits vor der Tat soll der Mann nach Aussagen von Familienangehörigen an psychischen Problemen gelitten haben. Nach Aussage seines Sohnes und seines Bruders war er tablettenabhängig. Er kam als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland, sein Bruder und sein Sohn leben ebenfalls hier. Seine Frau befindet sich noch im Bürgerkriegsland, ihr Asylantrag war abgelehnt worden. Mindestens seit 2017 soll er sich in ambulanter Behandlung befunden und Psychopharmaka sowie Antidepressiva genommen haben. Medienberichten zufolge habe er sich die Medikamente und weitere Schmerzmittel regelmäßig in der Apotheke im Hauptbahnhof geholt.
Auch in Syrien habe er bereits Probleme gehabt: Zeugenaussagen zufolge sei er dort bereits in Haft gewesen. Er habe ihnen erzählt, dass er damals auch gefoltert worden sei. Bereits während der Tat kamen Gerüchte über einen möglichen terroristischen Hintergrund auf. Zeugen berichteten vor Ort, der Mann habe gesagt, er gehöre dem IS an.
Die Spekulationen stellten sich jedoch als falsch heraus: Bei Durchsuchungen seiner Unterkunft im Kölner Stadtteil Neuehrenfeld beschlagnahmten die Ermittler demnach persönliche Gegenstände. Diese und erste Auswertungen von Internet- und Handy-Kommunikation deuteten allerdings nicht auf einen islamistischen Hintergrund hin. Stattdessen zeige sich mehr und mehr, wie massiv die psychischen Probleme des Mannes waren. Da sich die Vermutungen, es handele sich um einen islamistischen Anschlag, nicht erhärten ließen, gingen die Ermittlungen von der Bundesanwaltschaft auf die Kölner Staatsanwaltschaft über.
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