Geburtshilfe

Kuscheln nach dem Kaiserschnitt

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Berlin -

Kinderleicht sieht es aus, wie Oxana Kaiser ihr Neugeborenes aus der offenen Bauchhöhle zieht: Ein Video aus dem OP-Saal des Krankenhauses im ostwestfälischen Bad Oeynhausen zeigt, wie sie selbst Hand anlegt beim Kaiserschnitt. Die Ärzte haben dazu Eric Maximilians Köpfchen soweit angehoben, dass sie ihn sicher greifen und auf ihre Brust ziehen kann. Mütterlich assistierter Kaiserschnitt, so nennt sich das Verfahren. Das Krankenhaus wirbt damit, nach Australien in Deutschland die erste Klinik zu sein, die das Prinzip anbietet – und stößt bei Fachleuten auf Kritik.

„Für mich hat sich das fast angefühlt wie eine normale Geburt“, wird die Mutter später zitiert. Genau darum geht es laut Krankenhaus: Frauen berichteten immer wieder vom Gefühl des Ausgeliefert-Seins bei einer Entbindung per Operation. Durch sofortige körperliche Nähe zwischen Mutter und Kind wolle man gegensteuern, sagt Dr. Manfred Schmitt, Chefarzt der geburtshilflichen Abteilung in Bad Oeynhausen.

Sogenanntes „Bonding“, wie das frühe Kuscheln genannt wird, sei gut für die Mutter-Kind-Bindung. „Dass sie selbst das Kind auf ihre Brust ziehen kann, gibt ihr ein gewisses Maß an Selbstbestimmung zurück, was in einer Operation sonst nicht gegeben ist. Das ist für das Geburtserlebnis entscheidend“, sagt Schmitt. Sicherheit für Mutter und Kind stehe dabei an oberster Stelle: Arme und Hände der Mutter waren mit Handschuhen und steriler Kleidung geschützt. Um Sterilität zu gewährleisten, habe es ein intensives Vorgespräch mit der Mutter gegeben, was auf sie zukommt und wie sie sich verhalten muss.

Die Fachwelt reagiert mit Ablehnung auf den Vorstoß: „Das hat medizinisch überhaupt keinerlei Nutzen, sondern ist Ausdruck einer Eventkultur, die wir in der Medizin gerade im Bereich Schwangerschaft und Geburt erleben“, kritisiert Professor Dr. Ekkehard Schleußner vom Uniklinikum Jena. Er sieht Risiken: „Die Sterilität des OP-Gebietes wird potenziell gefährdet“, die Mutter sei kein Fachpersonal.

Schleußner ist im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, die sich seit Jahren für die Senkung der Kaiserschnittrate in Deutschland einsetzt. Inzwischen kommt fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt, vor 15 Jahren lag die Rate noch bei 21,5 Prozent. Zwar ist der Wunschkaiserschnitt ohne medizinischen Grund weiter die Ausnahme. Aus einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2010 ging allerdings hervor, dass Mediziner in bestimmten Situationen, etwa einer Beckenendlage, immer öfter den Kaiserschnitt einer Spontangeburt vorziehen.

Da wirke ein Angebot wie der mütterlich assistierte Kaiserschnitt eher als Verstärkung: „Das ist doch eher Marketing für den Kaiserschnitt als vermeintliche Optimallösung“, sagt Schleußner. „Man erfindet immer mehr, um den Kaiserschnitt so hoffähig zu machen, dass eine normale Geburt immer überflüssiger erscheint“, sagt Professor Dr. Walter Klockenbusch, Leiter der Geburtshilfe am Uniklinikum Münster.

Tatsächlich reagiert die Geburtshilfe schon länger auf den Wunsch von Müttern, das Zur-Welt-Kommen ihres Kindes trotz Kaiserschnitts mitzuerleben. So ist Vollnarkose beim Kaiserschnitt, die die Mutter das Wunder verschlafen lässt, seit Jahren nur bei Notfällen Usus. Um schnellen Kontakt zwischen Mutter und Kind zu gewährleisten, werden gesunde Kinder nach der Geburt meist nicht mehr weggetragen, sondern sofort auf den Oberkörper der Mutter gelegt, berichtet Schleußner.

Auch Professor Dr. Wolfgang Henrich von der Berliner Charité suchte nach einem Weg, den Eingriff für die Eltern natürlicher zu gestalten und wurde fündig bei Londoner Kollegen: Als „Kaisergeburt“ hat er 2012 in Deutschland ein Prinzip eingeführt, bei dem die Mutter im entscheidenden Moment zuschaut oder sogar mitpresst. Dafür lüften die Mediziner den Sichtschutz, wenn der Arzt das Köpfchen aus dem Bauch hebt. Es gehe darum, den OP-Charakter in den Hintergrund zu drängen und durch Simulation die Geburt in den Vordergrund zu rücken.

Der Vater darf die Nabelschnur durchtrennen. Danach übergibt der Arzt das Kind der Hebamme, die es auf den Oberkörper der Mutter legt. „Kind und Mutter können sofort gegenseitig die Wärme spüren, Herzschlag, Geruch“, sagt Henrich. Der Hautkontakt beruhige das Baby. Dass die Eltern den Vorgang auch sehen könnten, erhöhe ihre Zufriedenheit – das habe eine Evaluation des Vorgehens gezeigt.

Auch dass das Prinzip sicher sei und die Kaiserschnittrate nicht steigen lasse, zeige die Erhebung, sagt Henrich. Mittlerweile entschieden sich 70 Prozent aller Kaiserschnittkandidatinnen für die „Kaisergeburt“ – allerdings nur, und das betonen Schmitt wie Henrich, wenn medizinische Gründe für den Kaiserschnitt vorliegen.

Was seine Kollegen in Bad Oeynhausen machen, betrachtet Henrich dennoch mit Zurückhaltung. „Ich glaube eher nicht, dass das auf großes Interesse bei Müttern wie Operateuren stoßen wird“, sagt er. Technisch sei es schwierig, Sterilität zu gewährleisten und gleichzeitig den schnellen Hautkontakt zwischen Kind und Mutter herzustellen. Kritiker Schleußner hingegen befürchtet: „Das wird kein Einzelfall bleiben“.

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